Psychologie in der kieferorthopädischen Praxis

Erwartung und Verhalten – Wie unsere Erwartungen den Alltag mit Patienten formen
Peter Kropp, Rostock

Hand auf’s Herz – kennen Sie nicht auch Situationen, deren oft negativer Ausgang sich nach Ihrer Erwartung gehalten hat? Jetzt mag man ja meinen, dass dies einer gewissen „Küchenpsychologie“ entsprungen sein mag, bei der ein Effekt der Erwartung eben schon vorab festlag. Dass dies aber keineswegs so sein muss, kann mit einer wichtigen psychologischen Theorie erklärt werden. Die „Theorie der sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ („self-fulfilling-prophecy“-Theorie) besagt nämlich, dass sich das Verhalten nach der wahrgenommenen Prognose über die Wirkung einer Behandlung regelrecht „ausrichtet“ (Merton, 1948). Mit anderen Worten: Ist der Patient davon überzeugt, dass eine bestimmte Handlung wirkt, dann wirkt diese Behandlung auch in größerem Maße besser als die gleiche Behandlung, bei der ein Patient weniger davon überzeugt ist.


Auch in der kieferorthopädischen Praxis spielt Kommunikation eine ganz entscheidende Rolle – und kann, nach diesen Studien, auch den Behandlungserfolg beeinflussen. Wenn beide Seiten überzeugt sind von Sinn, Zweck und Erfolg der Therapie, wird dies auch sehr viel leichter zu erreichen sein. Versuchen Sie’s!


 

Dies wurde lange als Annahme übernommen, aber erst vor etwa vier Jahren konnte eine Arbeitsgruppe genau diesen Effekt der Wirkungserwartung wissenschaftlich nachweisen. Bei der Gabe wirksamer Medikamente gegen Migräneanfälle wurden die Medikamente als „Plazebo“ (negative Wirkungserwartung), „Verum“ (positive Wirkungserwartung) oder „beides“ (unsichere Wirkungserwartung) beschrieben. Tatsächlich bekam jeder einmal ein Plazebo und einmal ein Verum. Jeder der 66 Migränepatienten bekam somit jede Form der Behandlung. Mit diesem Versuchsplan konnte nachgewiesen werden, dass die angenommene Wirksamkeit des Medikaments durch eine positive Wirkungserwartung gesteigert und durch eine negative vermindert werden konnte, unabhängig davon, was nun tatsächlich eingenommen wurde. Es konnte selbst dann eine Wirkung festgestellt werden, wenn der Patient wusste, dass er ein Plazebo einnahm (Kam-Hansen et al. 2014).

Daraus kann gefolgert werden, dass es Zusammenhänge gibt zwischen Wirkungserwartung, Annahmen und Überzeugungen auf der einen Seite und tatsächlich erlebten Schmerzzuständen auf der anderen Seite. Je nach Erwartung wirkt das Medikament oder nennen wir es allgemeiner: die Hilfe des Profis besser oder schlechter. Für eine bessere Wirkung ist dabei zwingend nötig, dass positive Erwartungen aufgebaut werden. Dazu ist Kommunikation nötig (Kropp et al. 2015). 
Besteht diese Kommunikation jedoch aus problematischen Überzeugungen seitens des Arztes, dann kann auch keine positive Wirkungserwartung aufgebaut werden. Problematisch sind in diesem Sinne dann Aussagen wie sie in der Tabelle für die Wirkung von Medikamenten beschrieben werden.


Prof. Dr. Peter Kropp

Direktor des Instituts für 
Medizinische Psychologie und 
Medizinische Soziologie
Universitätsmedizin Rostock
Gehlsheimer Straße 20
18147 Rostock
www.imp.med.uni-rostock.de


 

Beispiele für problematische Überzeugungen…

Seitens des Patienten… 

…das wird mir auch nicht helfen
…ich werde nicht ernst genommen
… das hat bei meinem Partner nicht geholfen, deswegen auch nicht bei mir
…ich bin ein schwieriger Fall

Seitens des Patienten…

…das wird mir auch nicht helfen
…ich werde nicht ernst genommen
…das hat bei meinem Partner nicht geholfen, deswegen auch nicht bei mir
…ich bin ein schwieriger Fall

Wie kann der Effekt der sich selbst erfüllenden Überzeugung positiv ausgeschöpft werden?
Es geht um die ehrliche Kommunikation der Wirkungserwartung. Eine unsichere Wirkungserwartung seitens des Arztes vermindert den potentiellen Effekt der Behandlung drastisch. Eine effektive Behandlung besteht deswegen aus der Erfassung und Berücksichtigung der Überzeugung sowohl vom Arzt als auch vom Patienten. Dies gelingt bei streng interdisziplinärem Vorgehen und der Bereitschaft seitens des Arztes, effektiv zu kommunizieren. Dann formen unsere Erwartungen den Alltag mit dem Patienten, und zwar positiv und gut!


Kam-HansenS, Jakubowski M, Kelley JM, Kirsch I, Hoaglin DC, Kaptchuk TJ, Burstein R. Altered placebo and drug labeling changes the outcome of episodic migraine attacks. Sci Transl Med 2014;6(218):218ra5.

Kropp P, Klinger R, Dresler T (2014). Die Erwartungshaltung – Migräneauslöser
Nr. 1? MMW Fortschr Med. 2015 Feb 5;157(2):62-64.

Merton RK. The self-fulfilling prophecy. In:
The Antioch Review. Band 8, 1948: S. 193-210.


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melita – adobe.stock.com
Prof. Dr. Kropp