Die kieferorthopädische Praxis im Jahr 2020 – und im kommenden Jahr

Rechtliche und strategische Themen

RA Christian Erbacher, Kanzlei Lyck+Pätzold

 

Welche Themen haben Zahnarzt- und kieferorthopädische Praxen dieses Jahr besonders beschäftigt? Ungeachtet der Fülle an Neuerungen und Besonderheiten, die das Corona-Jahr 2020 mit sich bringt und gebracht hat, haben die Praxen weitere Themen auf der Agenda.

 

1. Dauerbrenner: Die Praxisabgabe

Eines der meistfrequentierten Themen auf unserem Blog www.medizinrecht-blog.de ist im Jahr 2020 nach wie vor die Beratung rund um die Praxisabgabe. Es stellen sich viele Fragen, wie z.B. ein Verkaufsprozess eigentlich abläuft, wann damit begonnen werden sollte und wie ein realistischer Kaufpreis ermittelt werden kann. Darüber hinaus gilt es, die vertragliche Situation als Fundament für die Praxisabgabe zu gestalten.

So ist es in vielen Fällen z.B. ratsam, neben dem Praxisübernahme-Vertrag einen Datenschutz-Vertrag zu schließen. Denn geschieht dies nicht, könnte sogar eine Loslösungsmöglichkeit vom Kaufvertrag drohen. Der Praxisabgabeprozess wäre dann erst einmal gescheitert. Hinzu kommt, dass den aktuellen Gegebenheiten Rechnung getragen werden sollte, was bedeutet, dass sog. Corona-Regeln in jeden Vertrag eingebaut werden sollten.

2. Die arbeitsrechtlichen Herausfor­derungen in der Praxis

Ein über Jahre hinweg stetig abgefragtes Thema bildet das Arbeitsrecht. Ab wann gilt eigentlich das Kündigungsschutzgesetz? Welche Kündigungsmöglichkeiten gibt es? Wie genau kann eine umsatzabhängige Vergütung rechtlich sicher gestaltet werden? Ist diese eigentlich auch während des Urlaubs bzw. der Krankheit zu zahlen?

Neu: Kurzarbeitergeld trotz Kündigung? Kurzarbeit und Überstunden – geht das? (Rest-)Urlaub in Zeiten von Corona und Kurzarbeit. Um viele dieser Fragen ranken unzählige Mythen, die zu einer großen Unsicherheit führen können. Wichtig ist stets, dass die im Arbeitsvertrag festgehaltenen Regelungen klar definiert und gelebt werden. Hierdurch können viele Unsicherheiten genommen und Diskussionen vermieden werden.

3. Der Arbeitsvertrag – mit oder ohne Umsatzbeteiligung?

Viele junge Zahnärzte sind als Angestellte tätig oder suchen die Anstellung. Die Tendenz ist aufgrund vieler Faktoren, wie zum Beispiel dem Wunsch nach flexiblen Arbeitszeitmodellen oder der Scheu vor unternehmerischem Risiko, nach wie vor steigend. In der Vergangenheit wurde üblicherweise neben einem Grundgehalt eine umsatzabhängige, variable Vergütung vereinbart. Auch bei nichtzahnärztlichem Personal, wie zum Beispiel bei einer zahnmedizinischen Prophylaxeassistentin oder auch einem Zahntechniker sind variable Vergütungsabreden zu finden.

Problematisch an diesen Vereinbarungen ist, dass es sich bei der vereinbarten Umsatzbeteiligung in aller Regel um sog. Arbeitsentgelt handelt, welches von Gesetzes wegen auch in Urlaubszeiten und bei Krankheit zu berücksichtigen ist. Die Umsatzbeteiligung kann dem Arbeitgeber daher teuer kommen und sollte in jedem Fall betriebswirtschaftlich, steuerlich und rechtlich durchdacht sein. Es lohnt sich, hier neben der unternehmerischen Expertise in jedem Fall einen versierten Anwalt einzuschalten, der sich mit den Besonderheiten in den zahnärztlichen Praxen auskennt.

4. Praxismodelle der Zukunft?

Neben den rechtlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen bei einem Praxisverkauf interessieren sich viele Zahnärzte/Kieferorthopäden für die Praxismodelle der Zukunft. Schnell kommt dabei die Frage auf, was eigentlich ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) ist und ob dieses Modell in der eigenen Praxis sinnvoll umgesetzt werden kann. Durch geschickte Gestaltung kann z.B. der Praxisabgabeprozess – soweit er rechtzeitig begonnen wurde – mit einer MVZ-Konstruktion verknüpft werden. Denn durch das Modell der Ein-Mann-GmbH, könnte ein MVZ sogar alleine gegründet werden, auch wenn für dessen Betrieb dann mindestens zwei Personen benötigt werden.

Zudem kann auf diese Weise den Wünschen der jungen Zahnärzte nach flexiblen Arbeitszeitmodellen und einer ausgeglichenen Work-Life-Balance mitunter besser begegnet werden.

5. Zahnärztliche Video­sprechstunden kommen in die Versorgung

Zehntausende ärztliche Praxisinhaber haben in den zurückliegenden Monaten erste Erfahrungen mit der Videosprechstunde gesammelt. Doch in der Zahnmedizin fristet die Telemedizin weiterhin ein Schattendasein. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) will das nun ändern und hat die Videosprechstunde daher in die vertragszahnärztliche Versorgung aufgenommen.

Ob Aufklärungs- oder Beratungsgespräch, Erstbegutachtung, Zweitmeinung oder Besprechung von Heil- und Kostenplänen – die Videosprechstunde ist für viele zahnmedizinische Anwendungsfälle geeignet. Auch Online-Fallbesprechungen unter Beteiligung eines Zahntechnikers sind denkbar. Als reines Krisentool ist die Videosprechstunde für Zahnärzte nicht gedacht, sondern als eine Technologie mit langfristigem Mehrwert für die Praxis.

6. Das Praxislabor im MVZ im juristischen Kreuzfeuer

Viele Zahnarztpraxen verfügen über ein Praxislabor. Diese standen schon immer in der Kritik der gewerblichen Labore – aber durchaus auch der KZVen, gerade beim zahnmedizinischem MVZ. Am 14.05.2020 ist ein juristisches Gutachten des AVZ erschienen, das die Unzulässigkeit von Laborleistungen nahelegt. Was ist da dran? Und verhindert die neue Approbationsordnung in Zukunft Praxislaborleistungen? Das Gutachten: Ein scharfes Schwert gegen Praxislabore? Praxislaborgemeinschaften: Was muss beachtet werden und welche Vorgaben machen Gerichte? Wann wird ein Labor gewerblich? Welche Rabatte darf der Zahnarzt behalten – und welche muss er weitergeben? Diese hochaktuellen Themen werden in 2021 die dentale Welt beschäftigen.

7. Ausblick 2021

Die nicht zahnärztlichen Themen, mit denen sich der Dentalmarkt auseinanderzusetzen hat, werden jedes Jahr mehr. So wurde dieses Jahr in Praxen zum ersten Mal das Thema der Kurzarbeit relevant. Hier waren die Praxen im Vorteil, die eine solide arbeitsvertragliche Basis haben, denn das Arbeitsrecht ist in seinen Details äußert komplex.

Zudem wird die zahnärztliche Tätigkeit mehr und mehr von Arbeiten überlagert, die fernab der Behandlung am Stuhl stattfinden. Sei es durch die Digitalisierung oder Mitarbeiterbindung (und -findung). Hier gilt es, mit den Herausforderungen zu wachsen und wie auch in anderen Branchen sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, sich insbesondere mit Branchenkennern auszutauschen, was sinnvoll ist und was nicht. Und vor allem: Was passt zu meiner Praxisstrategie? Gerade aufgrund der Schnelllebigkeit ist es wichtiger denn je, eine eigene Zukunftsstrategie zu entwickeln, diese mit Leben zu füllen und in der Praxis umzusetzen.