Auf ein Wort mit Dr. Marcel Hanisch, Fachzahnarzt für Oralchirurgie und OA an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Münster
Zu seinem Fachgebiet „Seltene Erkrankungen in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“
(veröffentlicht in Ausgabe 1/2020)
Nach Zahlen des BMG sind aktuell in Deutschland rund vier Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen. Bei 7.000 – 8.000 verschiedenen Krankheitsbildern, die unter diese Klassifikation fallen (weniger als ein Fall pro 2.000 Geburten) wird bei ca. 15 % eine orale Beteiligung beschrieben.
Trotz der doch verhältnismäßig großen absoluten Zahl Leidtragender und der immerhin über fünfhundert identifizierten Krankheiten mit oraler Manifestation ist dieses Thema nach wie vor eine Randerscheinung – sowohl in der öffentlichen wie auch in der fachlichen Wahrnehmung. Darüber hinaus scheint die Finanzierung von Forschungsprojekten sowie geeigneter Therapien unverhältnismäßig schwierig – für Betroffene, aber auch für engagierte Behandler frustrierend.
ORTHOorofacial möchte dem Themenkomplex der seltenen Erkrankungen ab der kommenden Ausgabe 2/2020 eine eigene Rubrik widmen. Wir hoffen, spannende Einblicke zu erhalten und neue Denkanstöße geben zu können – und so die Tür zum Spektrum dieser Erkrankungen ein wenig weiter öffnen.
Zum Einstieg konnten wir Dr. Marcel Hanisch einige Fragen stellen. Dr. Hanisch ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie und bietet seit 2015 eine zahnmedizinische Sprechstunde für Menschen mit seltenen Erkrankungen am Uniklinikum Münster an. Zwei Jahre später führte er – zusammen mit Prof. Dr. Joachim Jackowski – den ersten „Kongress zu seltenen Erkrankungen in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ durch. Aufgrund des großen Interesses wird die Kongressreihe zweijährig weitergeführt. Für ORTHOorofacial stand Dr. Hanisch für ein Interview zur Verfügung.
ORTHOorofacial: Lieber Herr Dr. Hanisch, Sie nehmen sich in besonderer Weise den „Seltenen Erkrankungen in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ an – ein nicht gerade auf der Hand liegender Themenschwerpunkt. Wie kam es dazu?
Dr. Marcel Hanisch: Ich habe 2012, damals noch im Rahmen meiner Tätigkeit als Weiterbildungsassistent für Oralchirurgie, damit begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Mein damaliger Chef, Professor Jackowski, bat mich, eine Liste mit den Namen von 2000 verschiedenen „Seltenen Erkrankungen“ abzuarbeiten und einmal herauszufinden, welche von diesen laut der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur Manifestationen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich zeigen. Nach vielen, vielen Stunden Literaturrecherche hatte ich knapp 300 Erkrankungen detektiert. Da ich nicht wollte, dass die Daten nur einem kleinen Kreis von Personen zugänglich sind, habe ich dann damit begonnen, eine webbasierte, frei zugängliche Datenbank aufzubauen, unter welcher die Ergebnisse hinterlegt sind (http://romse.org). Mittlerweile sind in der Datenbank Informationen zu 541 seltenen Erkrankungen verfügbar.
Irgendwann kam dann der Wunsch auf, eine Spezialsprechstunde für seltene Erkrankungen mit oraler Beteiligung anzubieten. Hierzu habe ich am Universitätsklinikum Münster 2015 die Chance bekommen. Inzwischen habe ich mich insbesondere auf die implantologische Versorgung von Patienten mit genetisch bedingten Zahnnichtanlagen spezialisiert.
Weltweit sind zurzeit 7.000 bis 8.000 seltene Erkrankungen bekannt, wobei – nach Angaben der John-Hopkins-University/Maryland – hiervon ca. 15 % orofaziale
Beteiligungen aufzeigen können. Was bedeutet dies für den niedergelassenen Fach-/Zahnarzt? Welche interdisziplinären Ansätze sehen Sie?
Dr. Hanisch: Der Zahnarzt kann natürlich nicht alle seltenen Erkrankungen kennen. Wir schätzen, dass es sich um ca. 50 bis 100 „häufige“ seltene Erkrankungen handelt, mit denen man im Praxisalltag potentiell konfrontiert werden kann. Wichtig ist jedoch, dass der Zahnarzt Anzeichen einer seltenen Erkrankung erkennt und in der Folge weitere Diagnostik/Therapie veranlassen sollte.
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