iHealth & Co.: Gesundheit im Jahr 2040

Gesundheit als Schlüsselressource der Zukunft am Beispiel des Klinikums Darmstadt.
Ein Auszug aus der Auftragsstudie¹ des Zukunftsinstituts für die Darmstädter HEAG Holding AG

 

Im Jahr 2040 werden wir endgültig in der Gesundheitsgesellschaft angekommen sein. Nie zuvor hatte Gesundheit einen so hohen Stellenwert. Der Gesundheitsmarkt ist nicht nur volkswirtschaftlich längst einer der wichtigsten Eckpfeiler. Auch lokal und regional werden innovative Gesundheitsdienstleistungen unverzichtbarer Bestandteil einer modernen Daseinsvorsorge sein. Neben der öffentlichen Gesundheitsversorgung entsteht rund um Ernährung, Körper, Sport und Lebensqualität ein neuer zweiter Gesundheitsmarkt. Beschleunigt wird der Wandel durch eine zunehmende Liberalisierung und Ökonomisierung des Sektors, durch neue Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse – vor allem aber durch eine völlig neue Gesundheitskultur. So entwickelt sich der Sektor vom regulierten Angebotsmarkt zum vielseitigen Nachfragemarkt.

Steigendes Gesundheitsbewusstsein
Wir erleben den Beginn einer Ära der Selbstverantwortung in vielen Bereichen, besonders jedoch auf dem Gebiet der Gesundheit. In einer älter werdenden Gesellschaft wird körperliche und geistige Fitness zur Schlüsselressource. Entsprechend wächst das Bedürfnis der Menschen, durch „individuelles Gesundheitsmanagement“ und private Vorsorge zufriedener, besser und länger zu leben. Aus den Patienten von einst werden Kunden und gesundheitsbewusste Konsumenten. Für wen es zum Lebensgefühl gehört, der optimiert künftig seine Fitness nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen. So wird Gesundheit auch zum Konsumgut und Lifestyle-Produkt.

Neue Gesundheitsservices
Immer mehr neue Akteure drängen mit gesundheitsorientierten Angeboten in diesen Aufbruchmarkt. Von Franchise-Polikliniken in Supermärkten und Express-Praxen in Einkaufszentren über Patientenhotels und Spezialressorts, in denen unter Urlaubsbedingungen Operationen und Therapien durchgeführt werden, dermatologischen Kliniken, die sich mit medizinischer Kosmetik und Anti-Aging befassen, bis hin zu Medical Wellness – Urlaube mit präventivregenerativem Charakter und gesundheitswissenschaftlichen Maßnahmen zur Verbesserung von Lebensqualität und Gesundheitsempfinden werden immer beliebter.
Komplementäre Behandlungsformen – von Akupunktur über Psychosomatik bis zur traditionellen Chinesischen Medizin und Homöopathie – werden immer öfter die klassische Schulmedizin ergänzen. Auch in Darmstadt wird es im Jahr 2040 zwei unterschiedliche Strategien von Gesundheitsprovidern geben. Einerseits breit aufgestellte Basisanbieter zur Versorgung (schwer-)kranker Menschen. Andererseits werden wir es künftig verstärkt mit ganzheitlich orientierten Gesundheitsdienstleistern zu tun haben. Während sich das Klinikum Darmstadt auf die Kernkompetenz der medizinischen Versorgung komplexer Erkrankungen und Notfälle konzentriert, werden zugleich neue Anbieter den Begriff der „Maximalversorgung“ weiter fassen und immer mehr zusätzliche Gesundheitsdienstleistungen entlang einer verlängerten Angebotskette bereitstellen: von Ayurveda bis hin zu stylischen VIP-Kliniken für zahlungskräftige Kundenpatienten.

Steigende Ausgaben – wachsender Effizienzdruck
Die medizinischen Fortschritte sind weiterhin groß – haben aber auch ihren Preis. Trotz der Zunahme moderner Zivilisationskrankheiten verbessert sich der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung und die Lebenserwartung steigt weiter. Zugleich wachsen damit auch die Gesundheitsausgaben – öffentliche wie private. Gerade mit der zunehmenden Zahl älterer Menschen, die länger fit, aktiv und gesund leben wollen, kommen auf die Gesundheitsversorgung neue Herausforderungen zu. Der demografische Wandel ist letztlich aber das kleinere Problem: Die größten Kostentreiber sind Fehlanreize im Gesundheitssystem, die erst langsam abgebaut werden, und der medizintechnische Fortschritt. Das erhöht den Druck auf Gesundheitsdienstleister: hin zu mehr Effizienz, zu deutlichen Kostensenkungen und zu neuen Innovationen.
Für Krankenhäuser, wie das Klinikum Darmstadt, bedeutet das, dass sie ihre Produktivität systematisch erhöhen können. Ärzte werden wesentlich gezielter eingesetzt, mit Aufgaben, die nur sie übernehmen können. Für transferierbare Assistenzleistungen werden andere medizinische Berufsgruppen qualifiziert. Die Verantwortung für den Patienten bleibt weiterhin beim Arzt. Die medizinische Basisversorgung wird jedoch verstärkt durch nicht-ärztliches Personal abgedeckt.

Maximalversorgung 2040:
Hocheffiziente Gesundheitsdienstleister

iHealth: Individualisierung der Medizin
Im Jahr 2040 werden wir in der Ära einer personalisierten Medizin angekommen sein. In den nächsten Jahrzehnten werden Pharmaunternehmen und Wissenschaft ihre Anstrengungen und Investitionen auf diesem Gebiet massiv ausbauen. Immer mehr Medikamente und Therapieverfahren kommen beispielsweise nur noch nach vorherigen Gentests zum Einsatz, um individuelle Komplikationen oder teure, aber im konkreten Einzelfall möglicherweise wirkungslose Medikation zu vermeiden. Individualisierung der Medizin und patientenindividuelle Medikation sind eines der wichtigsten Innovationsfelder der Gesundheitsversorgung von morgen. Die Fortschritte auf diesem Gebiet werden dazu beitragen, bessere Behandlungserfolge zu erzielen und zugleich Kosten zu reduzieren.

E-Health: Digitalisierung der Gesundheitsversorgung
Auch die Digitalisierung der medizinischen Versorgung wird eine neue Ära im Gesundheitswesen von morgen einläuten. E-Health ermöglicht eine bessere Interaktion zwischen Patient und Dienstleistern sowie eine schnelle und sichere Verarbeitung komplexer Datenmengen. Virtuelle Patientenakten und Health-Monitoring durch Cloud Computing waren erst der Anfang. 2040 wird der Patient vollständig im Zentrum einer umfassenden Vernetzung stehen. Schon in Kürze werden im Klinikum Darmstadt alle Ärzte mit iPads ausgestattet sein, auf denen aktuelle Werte und relevante Informationen zu Patienten inklusive Röntgenbildern verfügbar sind. Im Jahr 2025 werden selbst hochgradig differenzierte Expertensysteme ans Krankenhaus-Informationssystem gekoppelt sein, die Ärzten proaktiv Hinweise und automatisch Hilfestellungen geben. Diese Specialists Support Systems werden einen völlig dezentralen Zugang sowohl zu Patientendaten als auch zu methodischem Fachwissen ermöglichen.

Softwaregestützte Diagnosen
Um auf die explosionsartige Vermehrung medizinischen Know-hows angemessener zu reagieren, implementiert WellPoint, eine der größten Versicherungsgesellschaften der USA, gemeinsam mit IBM softwaregestützte Diagnosesysteme in Krankenhäusern. Dazu soll der Supercomputer Watson zum Einsatz kommen. Weil er in knapp drei Sekunden rund 200 Millionen Seiten an Inhalten verarbeiten kann, verfügt er nach kurzer Zeit über einen Wissensvorsprung gegenüber seinen menschlichen Kollegen. So soll Watson Ärzte auch bei der Suche nach Behandlungsmethoden unterstützen.

Der intelligente Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien wird Gesundheitsversorgung, Therapie und Behandlungsverfahren auch im Klinikum Darmstadt revolutionieren. Er birgt enorme Potenziale für effizientere Strukturen: Viele Aufgaben von Laboren oder der Pathologie werden sich problemlos outsourcen und als Serviceleistungen von Zulieferern bewerkstelligen lassen. Histologische Untersuchungen und Diagnoseerstellung werden dann beispielsweise zum Teil an anderen Standorten durchgeführt, ohne dass es einen Qualitätsverlust bedeutet oder auf Kosten der Patienten in Darmstadt geht. Im Gegenteil: Die eingesparten Ressourcen lassen sich anderweitig für Innovationen nutzen. Selbst ferngesteuerte, robotergestützte Operationen werden in Zukunft am Klinikum Darmstadt an der Tagesordnung sein.

Hochgradig vernetzt, aktiv und gesund 
Mit dem Projekt SmartSenior soll die Lebensqualität Älterer verbessert werden. Siemens entwickelt dazu unter anderem eine Armbanduhr, die alle Bewegungen und Vitaldaten ihrer Träger misst und diese Informationen an das AAL Home Gateway und an das medizinische Zentrum der Charité in Berlin übermittelt. Die intelligente Uhr kommuniziert per WLAN mit dem Heimnetz des Patienten und ist mit zwei unauffälligen seitlichen Notrufknöpfen ausgestattet. Weitere Funktionen sind integrierbar, etwa die Einbindung des Terminkalenders für Arzttermine oder zur Erinnerung, Medikamente einzunehmen sowie die Steuerung eines Videokonferenzsystems. Auch die Anwendung der Uhr als körpernahes assistives System ist denkbar, das etwa Arbeitsabläufe von Pflegediensten oder Wartungskräften dokumentiert und mit Informationen unterstützt.

In dem Maße, wie Computer und Internet aus dem Alltag der Menschen nicht mehr wegzudenken sind, steigt ihre Relevanz als Informationsmedium, als Vertriebskanal und für die Versorgung von Patienten in ihrem persönlichen Umfeld. Medizinischen Rat holt man sich in Zukunft mehrheitlich im World Wide Web. Und auch für die Basisversorgung in weniger schweren Fällen wird das Netz immer wichtiger: In Online-Arztpraxen wie
DrEd.com werden künftig auch Darmstädter Ärzte rund um die Uhr Diagnosen übers Internet stellen.

Supercomputer Watson von IBM: Einsatz
für softwaregestützte Diagnosen

Doktor 2.0
Unter der Führung des Fraunhofer IGD haben sich 13 Fraunhofer-Institute zu einer Allianz zusammengeschlossen, um gemeinsam neue, zukunftsorientierte Ambient-Assisted-Living- und Personal Health-Systemlösungen zu entwickeln. Personal Health charakterisiert den Übergang zu personenzentrierten, individualisierten Formen medizinischer Prävention, Diagnostik, Therapie und Pflege. Entsprechende Systeme enthalten tragbare und miniaturisierte medizinische Geräte, die speziell für den diagnostischen und Therapie-begleitenden Einsatz im häuslichen oder mobilen Umfeld konzipiert sind. Die Forscher entwickeln relevante Technologien weiter und innovative Konzepte für nutzerspezifische Mensch-Technik-Interaktion, Assistenz und gesundheitliche Betreuung.

Dieser Trend weitet sich aus: E-Health-Anwendungen werden bis zum Jahr 2040 massiv in privaten Haushalten Einzug halten. Das ermöglicht eine weitreichende ärztliche Versorgung in den eigenen vier Wänden: Bei kritischen Blutwerten können Mediziner eingreifen, ohne dass der Patient erst zum Arzt gehen muss; bei einem Sturz schlagen Gehhilfen automatisch Alarm. Intelligente, mitdenkende Systeme werden den Arzt nicht ersetzen. Sie werden aber seine Arbeit massiv entlasten und unterstützen. Die Virtualisierung und dezentrale Versorgung bietet viele Vorteile für die Gesundheitsversorgung der Zukunft: von Kostenersparnis über Synergien bis hin zu Kompetenzgewinnen. Vor allem aber bleibt mehr Zeit für eine neues, intensiveres Arzt-Patienten-Verhältnis.

Intelligente Armbanduhr: Vitaldaten werden ans medizinische Zentrum übermittelt

Medizin und Ethik: progressiver Sinn für neue Realitäten
Neue medizinisch-technische Möglichkeiten einerseits, verantwortbare Kosten und ethisch-moralische Abwägung andererseits: In den kommenden Jahren wird die öffentliche Diskussion um viele Fragen von Gesundheit und Krankheit eine neue Stufe erreichen. Ob Organspende, Sterbehilfe, Genforschung, Stammzellentherapie, Robotereinsatz in der Pflege, Präimplantationsdiagnostik oder auch Priorisierung medizinischer Leistungen – was ist nötig und sinnvoll? Nachdem unsere europäischen Nachbarn mancherorts viel früher viel weiter waren, wird auch hierzulande ein Wertewandel dazu führen, dass Darmstädter Bürger im Jahr 2040 mit ethischen Fragen in der Medizin fortschrittlicher umgehen. Innovationen werden nicht um jeden Preis und gegen jegliche moralische Bedenken akzeptiert. Nicht alles, was prinzipiell möglich ist, wird dann angewandt. Aber wir werden auch ein neues Selbstverständnis im Hinblick auf einstige Konflikte zwischen medizinischer Machbarkeit, ethischer Verantwortung und ökonomischer Realität erleben.

¹ „HEAG 2040 – Die Stadtwirtschaft von morgen“: Auftragsstudie der Zukunftsinstitut GmbH – Internationale Gesellschaft für Zukunfts und Trendberatung, 2012 / Herausgeber: HEAG Holding AG – Beteiligungsmanagement der Wissenschaftsstadt Darmstadt (HEAG)


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