Bruxismus sicher diagnostizieren …
… mit dem Bruxismus-Screening-Index als initialen Indikator
Dr. Aneta Pecanov-Schröder, Bonn & Kathrin Schuldt, HamburgIn Deutschland sind von Bruxismus nach der aktuellen Bruxismus-S3-Leitlinie etwa 20 Prozent der Bevölkerung betroffen. „Dabei ist es schwer, ihre Anzahl genau zu beziffern, denn die sichere Diagnose von Bruxismus ist eine Herausforderung – und in jedem Fall ein hochaktuelles Thema“, weiß Funktionsdiagnostik-Spezialist PD Dr. M. Oliver Ahlers vom CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf. Dabei erfordere das aktualisierte Wissen zu den unterschiedlichen Wirkmechanismen von Bruxismus und craniomandibulären Dysfunktionen (CMD) eine Unterscheidung, ob im Einzelfall der Schwerpunkt im Bereich der CMD oder des Bruxismus liege, so Ahlers weiter. Der kürzlich entwickelte „Bruxismus-Screening-Index (BSI)“ der Dt. Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) hilft dabei, eine höhere diagnostische Sicherheit zu erreichen und ist ein leicht
in den Praxisalltag zu integrierendes Instrument.
„Menschen leiden nicht unter dem Bruxismus selbst, sondern unter den Folgen in all den Geweben, die bei intensivem Bruxismus unter erheblicher Belastung stehen“, stellt der Experte für Funktionsdiagnostik PD Dr. M. Oliver Ahlers klar und erklärt weiter: „Betroffen ist vor allem die Muskulatur, speziell die Kaumuskulatur, aber auch die im Bereich des Nackens. Hinzu kommt in manchen Fällen der Bereich der Kiefergelenke, die durch die höhere Aktivität der Kaumuskulatur stark belastet werden. Das Gleiche gilt für die Zähne, die durch extremes Pressen empfindlich werden und die durch erhebliches Knirschen verschleißen. In unserer auf solche Fälle spezialisierten Praxis sehen wir erstaunlich viele Patienten, denen Zähne als Folge von Bruxismus komplett frakturieren, insbesondere Seitenzähne.“
Bruxismus ist eine eigenständige Entität
Dabei beobachtet PD Dr. Ahlers in erster Linie Schlafbruxismus – weist aber im selben Atemzug darauf hin, dass jüngere Daten signalisieren, dass Wachbruxismus vielfach unterschätzt werde und ebenfalls eine erhebliche Rolle spiele. Das bestätigen auch die Informationen aus der Bruxismus-Leitlinie: Die Prävalenz von Wachbruxismus bei Erwachsenen wird mit 22,1 bis 31 Prozent angegeben, von Schlafbruxismus sind Untersuchungen zufolge etwa 12,8 ± 3,1 Prozent der Erwachsenen betroffen.
So kommen in der Hamburger Spezialpraxis auch Fälle vor, bei denen Patienten unter keinerlei Schmerzen leiden und auch eine gestörte Kaufunktion nicht bewusst wahrnehmen, obwohl zahnärztlich die Störung der neuromuskulären Koordination mit speziellen Untersuchungssystemen einwandfrei nachweisbar ist. „In dem Fall liegt der Schwerpunkt des dysfunktionellen Geschehens im Bereich des Bruxismus“, konstatiert der Fachmann. „Deshalb ist es so wichtig, den Bruxismus als eigenständige Entität abzugrenzen. Aus diesem Grund hat Frau Prof. Dr. Ingrid Peroz von der Charité in Berlin auch die Initiative zur Entwicklung der Leitlinie ergriffen.“
Die aktuelle Bruxismus-S3-Leitlinie informiert über den derzeitigen Stand zu Diagnostik und Behandlung und macht deutlich, dass auf dem Weg zu einer abgesicherten Diagnose auch eine Untersuchung im Schlaflabor gehört. Das soll und kann in der Praxis aber wegen des hohen Aufwandes nicht stattfinden. Eine unbefriedigende Situation, die aber auch Anstoß für weitere Ideen geben kann.
Bruxismus:
wiederholte Kaumuskelaktivität, die mit Kieferpressen und Zähneknirschen und/oder Anspannen oder Verschieben des Unterkiefers ohne Zahnkontakt einhergeht. Man unterscheidet die Erscheinungsformen Wach- und Schlafbruxismus und Mischformen. Häufig geht Bruxismus mit starkem Zahnverschleiß einher. Männer und Frauen scheinen gleichermaßen betroffen, insbesondere im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt. Folgende Ursachen werden vermutet: Stress, Angststörungen, Schlafstörungen, Sodbrennen, Schlafapnoe, Nikotin-, Alkohol-, Drogenkonsum, Nebenwirkungen von Medikamenten, Folgen von Erkrankungen sowie genetische Faktoren. [1,2]
Erheblicher Zahnverschleiß:
Verlust von Zahnsubstanz mit Dentinfreilegung und deutlichem vertikalen Verlust der Krone (≥ 1/3) und/oder Dentinfreilegung oral oder vestibulär von mehr als 50% der jeweiligen Zahnfläche.
Pathologischer Zahnverschleiß:
altersuntypisch, meist mit Schmerzen, Unbehagen, funktionellen Problemen und Beeinträchtigung der Ästhetik verbunden; in fortgeschrittenem Stadium können unerwünschte, zunehmend komplexe Komplikationen auftreten. [6]
Screening-Instrument BSI
„Als Konsequenz aus der Entwicklung der Leitlinie erschien es sinnvoll, eine eigenständige Basisdiagnostik in Form eines Screening-Instruments zu entwickeln, das mit möglichst geringem Aufwand so sicher wie denn möglich (!) erfasst, ob Anzeichen für verstärkten Bruxismus vorliegen“, erklärt PD Dr. Ahlers. So wurden ebenfalls unter Federführung von Prof. Dr. Ingrid Peroz und unter großem Engagement des ehemaligen DGFDT-Vizepräsidenten Dr. Matthias Lange (beide Berlin) der Bruxismus-Screening Index (BSI) und der zugehörige Befundbogen in einer entsprechenden Arbeitsgruppe entwickelt. (s. Abb. 1)
PD Dr. Ahlers: „Der BSI bietet erstmals eine Kombination verschiedener Einzeltests und Anamnesefragen, die spezifisch das Vorhandensein von übermäßigem Bruxismus erfassen soll.“ Dabei umfasst der BSI konkret vier Anamnesefragen und drei Befunde. In der Summe zielt diese Kombination darauf ab, das wahrscheinliche Vorliegen eines Bruxismus leichter zu erkennen. „Probleme macht dann aber der sichere Nachweis“, weiß PD Dr. Ahlers aus eigener Erfahrung. „Schließlich bleiben Schlifffacetten auch nach einer bereits abgeklungenen Bruxismusepisode weiterhin bestehen.“
CMD oder/und Bruxismus?
Interessant ist zu erfahren, wie sich Bruxismus von einer CMD abgrenzen lässt, treten doch beide häufig zusammen auf. „Die Abgrenzung ist in der Tat schwierig“, räumt der Experte ein. „Dies erkennt man allein daran, dass das von mir gemeinsam mit den Kollegen Prof. Jakstat, Hugger, Meyer und Freesmeyer entwickelte Diagnosesystem die beiden typischen Aktivitäten, die Bruxismus ausmachen, noch als Teil der CMD-Untergruppe ‚Okklusopathie‘ führte. Das geschah aus der Überlegung heraus, dass ohne Okklusion Parafunktionen, die in der Summe als ‚Bruxismus‘ bezeichnet werden, nicht möglich wären.“
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Bildnachweis PD Dr. Ahlers
PD Dr. M. Oliver Ahlers
gehört zu den führenden Spezialisten für Funktionsdiagnostik und -therapie. Seine berufliche Laufbahn begann im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wo sich die zahnärztliche Funktionsdiagnostik einer seiner Hauptarbeits-schwerpunkte herauskristallisierte und er zum Oberarzt ernannt wurde. Parallel leitete er die Dysfunktions-sprechstunde der ZMK-Klinik des UKE gemeinsam mit PD Dr. Jakstat. Später hatte er zeitweise die stellv. ärztliche Leitung der Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am UKE inne. Nach seiner Habilitation und venia legendi Im Jahr 2004 gründete er 2005 das CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf, das später als erste postgraduierte Ausbildungsstätte für „Spezialisten für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT)“ zertifiziert wurde. Bis heute hat er die zahnärztliche Leitung des Centrums inne und folgt zudem einem langjährigen Lehrauftrag an der Hamburger Universität.
PD Dr. Ahlers ist Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften. Seit 2001 hat er das Amt des Generalsekretärs der Dt. Ges. für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) inne und ist seit 2014 Vorsitzender des Fortbildungs-ausschusses der Zahnärztekammer Hamburg. PD Dr. Ahlers ist darüber hinaus Gewinner zahlreicher wissenschaftlicher Preise in seinem Spezialgebiet, darunter in den vergangenen Jahren allein vier Mal der Alex-Motsch-Preis der DGFDT, der für besondere wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der funktionsorientierten Zahnheilkunde verliehen wird. Als wissenschaftlicher Referent ist PD Dr. Ahlers national und international tätig. Er ist Verfasser mehrerer Lehrbücher und ca. 150 wissenschaftlicher Zeitschriften-beiträge. Zudem ist der Funktionsdiagnostikexperte Assoc. Editor des Journal of CranioMandibular Function und arbeitet als Gutachter und Schriftleiter für verschiedene Fachpublikationen. Hinzu kommen mehrere Patente, darunter für das CMDmeter als Instrument für die klinische Funktionsanalyse, spezielle Haftvermittler, Kofferdamrahmen sowie verschiedene Schleifkörper.