Corona-Mund-Gesundheit

– eine Frage des sozialen Status

 

(veröffentlicht in Ausgabe 4/2021)

Bei Kindern ist der Bedarf nach sozialem Austausch und Kontakten besonders ausgeprägt, da sie täglich Neues lernen und sich weiterentwickeln“, erklärt Dr. Lena Katharina Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Universitätsklinik Mainz. Die strikten Lockdownphasen und die geschlossenen Schulen trafen die Gruppe der Kinder und Jugendlichen deshalb besonders stark. „Bei Kindern hat der Entzug von sozialen Kontakten einen besonders starken Einfluss auf deren Leben“, so Müller. Erste Studien belegen: Die Screentime, also die Zeit, die Kinder und Jugendliche vor einem Display oder Bildschirm verbringen, erhöhte sich in den vergangenen eineinhalb Jahren noch einmal erheblich. „Die Folge ist eine deutliche Zunahme an Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht. Aber auch Essstörungen wie Anorexia haben zugenommen sowie psychische Leiden“, so Müller.

All das bleibt nicht ohne Konsequenzen für das orofaziale System und die Mundgesundheit.

„Man weiß, dass das orale System letztendlich funktioniert wie ein eigenes Ökosystem, welches nicht abgeschlossen ist, sondern mit dem gesamten Körper kommuniziert. Der Körper beeinflusst das, was im Mund passiert und anders herum.“ Als Beispiel nennt Müller Adipositas und Diabetes. Beides habe direkte Auswirkungen auf eine Parodontitis. Auch bei psychischen Erkrankungen konnte bereits ein Zusammenhang zur Mundgesundheit hergestellt werden. „Man weiß mittlerweile, dass bei Menschen mit Depressionen auch die Mundgesundheit schlechter ist“, sagt Müller.

Die Medizinerin sieht Nachholbedarf, wenn es um das Verständnis geht, wie der Körper und die Mundgesundheit zusammenhängen. Als Beispiel nennt sie das orale Mikrobiom. Nach dem Darmmikrobiom ist es das vielfältigste im menschlichen Körper und beeinflusst das Darmmikrobiom nachhaltig. „Über das Darmmikrobiom wurde so viel geredet, auch, weil die Auswirkungen unmittelbarer für den Menschen sind. Ist im Darm etwas aus dem Gleichgewicht ist, hat der Mensch Magen-Darm-Probleme. Die Parodontitis dagegen hat oft sehr, sehr lange keine direkten Auswirkungen. Das lässt sich besser auf die lange Bank schieben.“

Dass das orofaziale System untrennbar mit dem restlichen Körper verbunden und in Wechselwirkung steht, erklärt Müller anhand des Speichels. „Ein Milliliter Speichel enthält über 700 Bakterienarten oder ungefähr 100 Millionen Mikroorganismen. Und die schlucken wir regelmäßig. Man weiß mittlerweile auch, dass diese Mikroorganismen durch den Blutkreislauf wandern. Nehmen wir eine schwere Parodontitis. Zusammengenommen kann eine handtellergroße Fläche im Mund entzündet sein. Ein Markerkeim für Parodontitis ist Porphyromonas gingivalis. Dieser Keim wurde bei Alzheimerpatienten im Gehirn gefunden. Man weiß aus Mäusestudien, dass der Keim zu Entzündungen der Gefäße und im Gehirn führen kann. Auch in Zusammenhang mit Darmtumoren konnte der Keim festgestellt werden. Der ist sicherlich nicht die Ursache aber kann Entzündungen eben verstärken. Solche Zusammenhänge sind den meisten Menschen nicht bewusst.“

In einem Punkt habe die Pandemie aber auch zu einem gesteigerten Verständnis beigetragen, so Müller. Nämlich, dass Speichel und Tröpfchen Viren und Bakterien enthalten. „Durch das Tragen der Masken hat man gesehen, dass bei Kindern die Infektionsraten für Magendarmerkrankungen, für Influenza, für Erkältungen deutlich gesunken sind im Vergleich zu den Vorjahren ohne Maske.“ Dafür seien Erkrankungen der Psyche deutlich gestiegen.

Auch die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) habe stark zugenommen. Hier seien vor allem Erwachsene betroffen. „Wir hatten auch vor Corona viele Patienten mit CMD. Aber wir verzeichnen nochmals einen deutlichen Anstieg.“ Spuren einer starken psychischen Belastung, die nicht spurlos am menschlichen Körper vorüber geht.

Um Krankheitsbilder wie beispielsweise CMD zu behandeln, gibt es mittlerweile eine Bandbreite an interdisziplinären Ansätzen. „Wenn wir Ursachen wie einen falschen Biss oder Kiefergelenksarthrose ausgeschlossen haben, arbeiten wir eng mit Physio- und auch Psychotherapeuten zusammen.”



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