Corona – was wir daraus lernen können

Prof. Dr. Peter Kropp, Universitätsmedizin Rostock

Zunächst: die Pandemie ist präsent und meldet sich aus den Medien von morgens bis abends. Was passiert mit Nachrichten, wenn der Inhalt immer wieder zu hören und zu sehen ist? Die Psychologie kennt das Konzept der Habituation, des „sich Gewöhnens“ an eine Situation. Durch Habituation erhält der Kopf die Chance, die Situation zu integrieren und sich um andere Dinge zu kümmern. So kann der brummende Kühlschrank ausgeblendet werden und die tickende Standuhr raubt nicht mehr den Schlaf. Dieses Konzept jedoch greift bei Themen zur Pandemie offenbar nicht richtig. Auch nach bald zwei Jahren Präsenz ist die Pandemie da und veranlasst uns zu massiven Verhaltensänderungen und löst Ängste aus.

Diese fehlende Habituation kennt man aus der Schmerzforschung. Jedes sensorische Ereignis kann habituieren, jedoch nicht das Schmerzerleben. Somit könnte man meinen, dass mit Themen der Pandemie Hirnbereiche aktiviert werden, die normalerweise der Schmerzverarbeitung vorbehalten sind. Mehr noch: uns allen werden durch die Pandemie Anpassungsleistungen abverlangt, die wir vor zwei Jahren noch nicht für möglich gehalten hätten. Diese Anpassungsleistungen beziehen sich auf den Tagesrhythmus, die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen, das Planen von Arbeits- und Freizeitaktivitäten und das Erleben von Unsicherheit.

Was sollte man also aus diesen Zeiten schon lernen können? Zunächst einmal lohnt ein achtsamer Umgang mit sich und anderen. Achtsam zu sich selbst, weil Hygiene eine entscheidende Rolle bei der Infektiosität spielt. Offenbar sind sich seit knapp zwei Jahren mehr Menschen bewusst darüber, welche Wege ein Virus nehmen und wie man dessen Ausbreitung vermindern kann. Endlich wird in die Ellenbeuge gehustet, das Händewaschen dauert länger und Kontaktflächen – vom Einkaufswagen, dem Tisch im Restaurant bis hin zur Fernbedienung des Fernsehapparates im Hotel – werden desinfiziert. Aber auch auf den Anderen wird geachtet: Wer macht Platz auf dem schmalen Gehweg? Wie viel Menschen können sich in jenem Raum aufhalten? Achtsamkeit macht das Handeln wertvoll, weil es bewusst und reflektiert erfolgt. Dies scheint in den letzten Monaten zugenommen zu haben. Der reale Kontakt mit Freunden ist demnach wertvoller geworden.

Dies ist nur ein sehr kleiner und subjektiver Ausschnitt zu den Effekten der Pandemie und er wird wohl individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Aber schon jetzt, während die Pandemie wütet, kann festgestellt werden, dass die Fähigkeit zur Anpassung an die jeweilige Situation eine sehr entscheidende Strategie ist, diese Situation zu bewältigen. Sich anpassen zu können und das Beste aus der jeweiligen Situation machen zu können, bringt einen Vorteil, der angesichts der möglichen Konsequenzen der Infektion schnell zum Überlebensvorteil wird. Man kann nur wünschen, dass die Zeiten der Pandemie bald ein Ende finden werden. Bis dahin benötigen wir für uns alle große Anpassungsleistungen und eine vermehrte Achtsamkeit.

Prof. Dr. Peter Kropp

Direktor des Instituts für Medizinische
Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsmedizin Rostock
Gehlsheimer Straße 20, 18147 Rostock
www.imp.med.uni-rostock.de


Bildnachweis

methaphum – stock.adobe.com

Thomas Ecke, Berlin