Die Kieferorthopädie im interdisziplinären Kontext
Behandlungs- und Forschungsleistungen werden dann wahrgenommen, wenn sie möglichst gute Ergebnisse liefern, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Entscheidend dabei ist nicht nur das eigene Können, die eigene Fertigkeit und das eigene Durchhaltevermögen bei komplexen Behandlungen. Viel wichtiger ist dabei auch eine „gelebte Interdisziplinarität“ zwischen den einzelnen Fachgebieten. Warum ist dieser „Blick über den Tellerrand“ so wichtig?
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
von Prof. Dr. Peter Kropp (Universitätsmedizin Rostock)
Interdisziplinarität beschreibt eine fächerübergreifende Arbeitsweise, bei der unterschiedliche Methoden und Zugänge zum Problem gemeinsam eingesetzt werden. Diese Arbeitsweise verbessert beispielsweise bei Kindern, die unter einer Schlafapnoe leiden, die schulischen Leistungen. Warum? Dies liegt unter anderem an der „Tübinger Gaumenplatte mit Sporn“ mit kurativer Wirkung bei kraniofazialen Fehlbildungen. Diese Gaumenplatte wird individuell für das Kind angepasst (siehe Paditz et al. 2022). Dadurch wird die Zunge nach vorn verlagert, was die Luftzufuhr im Schlaf bessert und das Unterkieferwachstum anregt. Nebenbei wird auch die Lebensqualität gebessert. Hier arbeiten Kieferorthopäden, Anatomen, Kinder- und Jugendmediziner, Psychologen und Zahntechniker gemeinsam an einem Problem, welches dann auf sehr effektive Weise zum Wohle des Patienten gelöst wird. Ein interdisziplinärer Ansatz ist auch bei der Fragestellung zu negativen Effekten beim Zungenpiercing zu beobachten. So treten bei Zungenpiercings gehäuft Verletzungen am Zahnschmelz auf, weswegen hier mehr Aufklärung vonnöten ist, um diese Art der „body modification“ zu hinterfragen (Ziebolz et al. 2012). Mit interdisziplinären Ansätzen können medikamentöse Behandlungsansätze in ihrer Effektivität verbessert werden. Dies kann am Beispiel der Migräneerkrankung gezeigt werden. So verbessert die gemeinsame Anwendung medikamentöser und psychotherapeutischer Verfahren die schon guten Einzeleffekte deutlich (Müller et al, 2023).
Warum wirkt Interdisziplinarität? Hintergrund ist, dass bei multimodalen Verfahren (genau das beschreibt die Interdisziplinarität) das Symptom auf vielen verschiedenen Arten beschrieben und behandelt wird. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, die objektive Problemsituation und die individuellen Bedürfnisse des Patienten besser zu erkennen und damit auch effektiver zu behandeln. So lässt sich die individuelle Pathophysiologie, aber auch lassen sich individuelle Eigenschaften von Patienten genauer angehen und damit präziser verändern. Interdisziplinarität führt nebenbei zu besserer Adhärenz, was gerade im KFO-Bereich eine wesentliche Komponente für den Behandlungserfolg darstellt. Zusammenfassend gilt analog zum Begriff der Syndergie für Interdisziplinarität: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – frei nach Aristoteles’ Metaphysik.
Wenn also die kommende Jahrestagung der DGKFO in Stuttgart ganz im „interdisziplinären Kontext“ stattfinden wird, werden fächerübergreifende Ansätze, unterschiedliche Disziplinen und verschiedene Zugangswege zu Erkrankungen diskutiert und bewertet. Und seien Sie sicher: Interdisziplinarität wirkt – Sie werden begeistert sein!