Die kleinen großen Verlierer

Die letzten 21 Monate standen ganz im Zeichen der Pandemie. Zahlreiche Wissenschaftler – Mediziner, Soziologen, Virologen – beschäftigen sich mit ersten Erkenntnissen, die aus dem Umgang mit dem Virus zu ziehen sind. Wir sehen genauer hin – auch und vor allem auf nicht ganz Augenfälliges. Im Fokus der Betrachtungen: Die kleinen, großen Verlierer der Pandemie – unsere Kinder.

Das Prädikat „großer Verlierer der Pandemie“ beanspruchen viele lautstark für sich, nicht selten verbunden mit der Forderung nach Ausgleichszahlungen, Hilfen, monetärer Unterstützung. Da wäre die Gastrobranche, der Tourismus – fast die gesamte Wirtschaft. Verbände, Lobbyvertreter und Vorstände wissen, an welche Türen sie klopfen müssen, und in welchem Medium ihre Stimme die meiste Wirkung entfaltet. Still ist es dagegen um die Kinder. „Mag vielleicht daran liegen, dass politisches Unvermögen in diesem Zusammenhang bei Wahlen nicht abgestraft wird“, vermutet Sportzahnmediziner Stavros Avgerinos. „Aber beschämend ist es allemal.“ Und der Mediziner geht noch weiter: „Völlig unabhängig von den Aufgaben, die wir durch das SARS-CoV2 Virus lösen mussten, machen wir für die wichtigste Personengruppe einen verdammt lausigen Job und das schon seit Jahrzehnten.“ Der Mediziner ist Zahnarzt, Sportzahnarzt und außerdem Mitglied des Corona-Krisenstabes der Stadt Oberhausen. In dieser Funktion war und ist er nah dran an den Geschehnissen rund um die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus.

Nicht für alle gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen hatte er Verständnis. Insbesondere, wenn es um die Einschränkung der Freiheiten von Kindern geht. „Erklären Sie mal einem Achtjährigen schlüssig, warum er unter Einhaltung sämtlicher Schutzmaßnahmen und bereits genehmigten Hygienekonzept nicht draußen auf dem Sportplatz trainieren durfte, während die Profis in der Fußball-Bundesliga munter weiterspielen und die Vereine dafür Millionen kassieren. Geld, dass man beispielsweise auch in die Erstattung von Mitgliedsbeiträgen für kleinere Sportvereine hätte stecken können.“ Aus seiner Arbeit als Vorsitzender eines Eishockeyvereins weiß Avgerinos, dass es in manchen Familien schlicht finanziell nicht mehr gereicht hat. „Mit entsprechenden Förderungen, hätte die Politik eine Kündigungswelle in den Sportvereinen abwenden können.

Doch nicht nur der Vereinssport fiel der Pandemie zum Opfer. Keine Schule, kein Schulsport, nicht mit Freunden draußen rumtoben. Die Pandemie hat den natürlichen Bewegungsdrang vieler Kinder und Jugendlicher eingebremst, teilweise komplett gestoppt. Ständiger Begleiter der Kinder waren in den Lockdownphasen nicht Freunde, Eltern oder andere Bezugspersonen: Was blieb ist das Handy. Die Wurzel eines Übels, das Avgerinos in düsteren Farben malt. „Als Mediziner weiß ich, dass unser Immunsystem die wichtigste Barriere gegen Krankheitserreger ist und das nicht erst seit der Covid-19 Pandemie. Es gibt auch genügend Evidenz über die Faktoren, die für ein gesundes Immunsystem förderlich sind und welche Faktoren ihm Schaden.“

Schlecht für das Immunsystem – insbesondere bei Kindern: zu wenig Bewegung, wenig frische Luft, kaum sozialen Kontakte, gekrümmte Haltung vor den Bildschirmen.

Vor der Pandemie schon schlugen Psychologinnen und Mediziner Alarm. Die Zeit, die Kinder und Jugendliche durchschnittlich vor Bildschirmen verbrächten, sei gesundheitsgefährdend. Dann kam die Pandemie. „Bereits vorliegende Studien weisen eine Zunahme zwischen 15 und 20 Prozent aus und das schon bei einem vor Corona irrsinnig hohem Niveau. Bei den Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren reden wir hier von einer durchschnittlichen Internetnutzung von circa 5 Stunden. Dazu kommen noch Fernsehzeit, Spielkonsolen etc.”

Der daraus resultierende Bewegungsmangel in Kombination mit Formen der Fehlernährung und der Haltungsstörungen in diesen Altersgruppen führt, laut Avgerinos, zu einer ganzen Bandbreite von gesundheitlichen Folgen – auch für das orofaziale System. „Angesichts der weitaus gravierenderen Folgen für Körper und Psyche der Kinder und Jugendlichen sehe ich die Folgen für die Mundgesundheit allerdings eher als zweitrangiges Problem“, so der Zahnmediziner. Die Maßnahmen seien laut Avgerinos ein Tropfen auf dem heißen Stein. Man schaue weg, wo es nur möglich ist. „Ganze Viertel verkommen, komplette Jahrgänge werden in die Arbeitslosigkeit entlassen. Wir säen Perspektivlosigkeit und wundern uns hinterher über Resignation.”


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