Dos and Don’ts zum Thema EU-Medizinprodukteverordnung

Was es zum Thema MDR (Medical Device Regulation) für zahnärztliche und kieferorthopädische Praxis aus rechtlicher Perspektive zu beachten gilt

RA Anna Stenger, Kanzlei Lyck+Pätzold
Am 26. Mai 2021 endet die Übergangsfrist der neuen EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation – MDR) und muss ab diesem Stichtag zwingend angewendet werden. Die MDR ist eine Neufassung der bisher geltenden Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG (MDD) und bringt zahlreiche Neuerungen mit sich. Kurzgefasst hat der Gesetzgeber durch die MDR das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und deren anschließende Überwachung auf dem Markt verschärft und die bisher geltenden Pflichten für Hersteller und Händler erweitert. Die Verordnung richtet sich primär an industrielle Hersteller von Medizinprodukten und regelt die Herstellung, den Vertrieb und den Service von Medizinprodukten. Doch auch Zahnärzte und Kieferorthopäden sind von der MDR und den neuen Pflichten und Anforderungen betroffen.
1. Gelten Praxen als Hersteller im Sinne der MDR?

Vor allem die Hersteller von Sonderanfertigungen rücken in den Kreis der Hersteller. Nach Art. 2 Ziff. 3 der MDR bezeichnet der Begriff der „Sonderanfertigung“ ein Produkt, das aufgrund der Verordnung eines qualifizierten Berufsträgers (in diesem Fall des Zahnarztes) speziell für einen einzigen Patienten angefertigt wird, um ausschließlich dessen individuelle Zustand und dessen individuellen Bedürfnissen zu entsprechen. Darunter fallen in der Praxis zum Beispiel Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen, Zahnkronen und Schrauben.

Das bedeutet, dass neben gewerblichen Dentallaboren künftig ebenso Praxislabore und Zahnärzte, die zwar kein Praxislabor betreiben, aber beispielsweise Zahnersatz im Chairside-Verfahren herstellen, mit der Einführung der MDR als Hersteller von „Sonderanfertigungen“ gelten und damit ebenfalls unter „Herstellerbegriff“ von Medizinprodukten fallen. Auch die kieferorthopädische Praxis mit Eigenlabor ist von dieser Neuerung betroffen, da sie in Rahmen der MDR zu den Herstellern von Sonderanfertigungen zählen. Kieferorthopäden sehen sich deshalb nun ebenfalls vor der Herausforderung, den hohen Anforderungen der MDR Richtlinie gerecht zu werden.

Sonderanfertigungen sind von der CE-Kennzeichnungspflicht befreit. Dennoch ergeben sich für Zahnärzte und Kieferorthopäden auch bei Sonderanfertigungen weitergehende Pflichten nach der MDR. Eine verschärfte Regelung
gilt nunmehr für die Erklärung nach Anhang XIII zur Konformität der Sonderanfertigung; diese muss stets beigefügt werden und nicht mehr bloß für Sonderanfertigungen ab der Klasse IIa.

In Bezug auf klinische Bewertungen müssen Zahnärzte und Kieferorthopäden nunmehr genau dieselben Anforderungen erfüllen wie Hersteller von seriell bzw. industriell gefertigten Medizinprodukten. Der Gesetzgeber hat die Anforderungen weiter verschärft und konkretisiert, sodass u.a. für implantierbare Produkte der Klasse III klinische Bewertungen durchzuführen sind, die auch eine klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen umfassen.

Medizinprodukte, die Praxen nicht selbst anfertigen, sondern die sie bereits vor dem Stichtag vom Hersteller erworben haben und die sich noch im Bestand der Praxis befinden, sind von den neuen Regelungen dagegen erst einmal nicht betroffen.

Auch gelten für bereits vor dem Stichtag nach den alten Regelungen der MDD zertifizierte und in Verkehr gebrachte Produkte von Herstellern nach Art. 120 MDR Übergangsfristen. Nach Art. 120 Abs. 4 MDR dürfen Medizinprodukte, die nach den alten Regelungen in Verkehr gebracht worden sind, noch bis zum 25. Mai 2025 von Praxen erworben und verwendet werden. Medizinprodukte, die nach dem 26. Mai 2025 erworben werden, müssen dagegen entsprechend der neuen MDR in Verkehr gebracht worden sein. In allen Fällen ist selbstverständlich das vom Hersteller angegebene Ablaufdatum zu beachten.

 

 

 

do:

Kieferorthopädische Praxen, die Sonderanfertigungen herstellen, müssen die in Anhang XIII der MDR angeführten Informationen zur Konformität der Sonderanfertigung beifügen.

 

 

 

don’t:

Kieferorthopädische Praxen, die ausschließlich Sonderanfertigungen herstellen, trifft keine CE-Kennzeichnungspflicht.

 

 

 

 

 

2. Muss die Praxis über ein Qualitätsmanage­mentsyten (QMS) und ein Risikomanagement­system (RMS) verfügen?

Als „Hersteller von Medizinprodukten“ im Sinne der MDR gelten wie dargestellt neben gewerblichen Dentallaboren auch Zahnärzte und Kieferorthopäden, die Sonderanfertigungen herstellen. Damit sind für diese Praxen ein Qualitätsmanagementsystem und ein Risikomanagementsystem bindend.

Praxisinhaber müssen dafür sorgen, dass sie über Verfahren verfügen, die gewährleisten, dass die Anforderungen der MDR jederzeit eingehalten werden. Dafür müssen sie ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) in ihrer Praxis etablieren, aufrechterhalten, stetig aktualisieren und kontinuierlich verbessern. Das Qualitätsmanagementsystem umfasst alle Teile und Elemente der Praxis, die mit der Qualität der Prozesse, Verfahren und Produkte befasst sind. Es steuert die erforderliche Struktur und die erforderlichen Verantwortlichkeiten, Verfahren, Prozesse und Managementressourcen zur Umsetzung der Grundsätze und Maßnahmen, die notwendig sind, um die Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung zu erreichen.

Ebenso sind Praxisinhaber als Hersteller zur Einführung eines Risikomanagementsystems verpflichtet. Hier verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel, dass das spezifische Produktrisiko über seinen gesamten Lebenszyklus geht: „Das Risikomanagement ist als kontinuierlicher iterativer Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu verstehen, der eine regelmäßige systematische Aktualisierung erfordert.“ Das RMS begleitet ein Produkt ab seiner Entwicklungsphase, um stetig alle möglichen Risiken im Blick zu haben und dementsprechend zu reduzieren.

do:

Praxisinhaber müssen als Hersteller ein QMS und RMS einführen, das an die jeweilige Risikoklasse und die Art des Medizinprodukts angepasst ist.

don’t:

Das Erstellen fester Checklisten reicht für ein QMS im Sinne der MDR nicht aus, da dieses stetig aktualisiert und kontinuierlich verbessert werden muss.

 

3. In welchen Bereichen bleibt es beim bisher Bekannten?

Wie auch schon bisher, hat der Hersteller für jedes von ihm hergestellte Medizinprodukt eine Zweckbestimmung festzulegen. Diese Zweckbestimmung sollte von Zahnärzten und Kieferorthopäden unbedingt eingehalten werden. Denn außerhalb der Zweckbestimmung bewegt sich der Anwender nicht mehr in dem vorgegebenen Rahmen, sodass ihm die Herstellerpflichten auferlegt werden. Handelt es sich um zusammengesetzte Produkte, sollte daher stets überprüft werden, ob der Hersteller die Kombination auch zulässt und die Zweckbestimmung entsprechend ausgestaltet ist.

Auch verändert die MDR die Klassifizierung der dentalen Medizinprodukte in die Risikoklassen I, IIa, IIb und III nicht. Es bleibt bei den bisher bestehenden Klassifizierungen.

 

do:

Praxisinhaber sollten immer prüfen, ob sich die Anwendung des Medizinprodukts innerhalb der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung bewegt.

 

 

4. Fazit

Praxisinhaber sollten sich mit den Vorgaben der MDR vertraut machen, damit es nicht zu teuren Versäumnissen kommt. Praxen, die Hersteller von Sonderanfertigungen sind, sollten ein besonderes Augenmerk auf die Erklärung nach Anhang XIII zur Konformität der Sonderanfertigung, die Pflicht zur Einführung eines RMS und QMS sowie die Pflicht zur Nachbeobachtung entsprechend den Anforderungen der MDR legen.


 

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