“Essenziell geht es um die Würde unserer Patienten“

Auf ein Wort mit Dr. h.c. Susanne Codoni, Basel

„Essenziell geht es um die Würde unserer Patienten“

Wer sich mit der interdisziplinären Behandlung „besonderer” Patientinnen und Patienten beschäftigt – egal, welchen Alters – kommt an ihr nicht vorbei: Dr. h.c. Susanne Codoni. Sie ist Logopädin, Therapeutin und Referentin mit Leib und Seele. Von Anfang an war und ist eines ihrer großen Anliegen das Nutzen von Synergien innerhalb der Schul-, aber auch zusammen mit der Komplementärmedizin – eine ganz besondere Form der Interdisziplinarität, die bedingungslos eines in den Fokus stellt: Das Wohl des Patienten. Dr. Codoni ist Mitglied unseres Editorial Boards, und wir freuen uns sehr darauf, in den kommenden Ausgaben regelmäßig Cases aus der körperorientierten Sprachtherapie (k-o-s-t)® für Sie aufbereiten zu dürfen. Wir  trafen Dr. Codoni „auf ein Wort“ über ihre Arbeit, den Status quo interdisziplinärer Zusammenarbeit und über anstehende Projekte.

Wer sich mit Dr. Susanne Codoni trifft, darf sich auf einiges gefasst machen: Auf schwer zu ertragende Bilder, auf in jeder Hinsicht eindrucksvolle Geschichten und eine schier unbändige Begeisterung für das Fach. Es sind diese Geschichten ihrer Patientinnen und Patienten, Kindern und Erwachsenen, die sie antreibt, immer wieder aufs Neue zu unterstützen, deren „Störungen“ zu behandeln und vor allem ihr interdisziplinäres Netzwerk weiter auf- und auszubauen. Es sind die Geschichten verzweifelter Eltern, die sich kaum noch zu helfen wissen – und denen sie oftmals innerhalb kürzester Zeit helfen und neuen Mut schenken kann. 

Da sind zum Beispiel die Eltern von Kindern mit Wahrnehmungsstörungen – Kinder also, deren Körper-Raum-Wahrnehmung sich nicht richtig entwickeln konnte oder deren Entwicklung früh traumatisch gestört wurde. Oftmals zog viel nervenaufreibende Zeit ins Land, ehe eine „handfeste“ Befundung erhoben wird, die das Kind als Persönlichkeit mit Ecken und Kanten respektiert und mit gezielter Förderung, an die eigenen Ressourcen anknüpfend, in seiner Entwicklung weiterbringt. „Manche Eltern erzählen, ihr Kind höre nicht (zu), wenn sie es rufen – im Prinzip hat dies aber nichts mit der Hörfähigkeit zu tun, sondern mit der Art, wie das Kind in sich organisiert ist. Ist es ist z.B. in ein Spiel vertieft, liegt die Konzentration beim Spiel und nicht auf der Umwelt.“ 

„Häufig begegnen uns Kinder, die eine schwere Verzögerung der Sprachentwicklung zeigen, in Kombination mit unausgereifter Motorik, persistierenden frühkindlichen Reflexen und (noch) mangelnder Fähigkeit, Körper, Hände, Augen und Füße miteinander zu koordinieren.“ Dies führe dazu, dass die Kinder unkoordiniert auf den Zehenspitzen herumzappeln und unruhig sind – und nicht selten zu „schweren, etikettartigen Diagnosen“, die sich später glücklicherweise oft als wenig haltbar herausstellten. Diese Kinder hätten vielfach „buchstäblich den Boden unter den Füßen noch nicht erreicht oder verloren, sie können sich und ihren Körper nicht so spüren wie wir, sind ,verloren im Raum´ und können sich nicht orientieren.“ Ein aktuelles Therapieprojekt, das Dr. Codoni in Zusammenarbeit mit dem Ergotherapeuten und  zertifizierten Therapeuten zur Behandlung von Wahrnehmungsstörungen, Andreas Kugler, angestoßen hat, nehme diese kleinen Patienten und deren Eltern in den Fokus. „Die Kinder werden mit spezifischer Körperarbeit ,zentriert´ an tägliche Abläufe herangeführt, mit teilweise frappierenden Ergebnissen in sehr kurzer Zeit.“ Geplant sei auch eine Schulung für interessierte Eltern, die diese Arbeit dann – gecoached – zu Hause im Rahmen der täglichen Abläufe weiterführen. „Eltern wollen ihr Kind unterstützen und nehmen diese Hilfestellungen sehr gerne an, weil sie umsetzbar sind und unerwartet schnell Erfolge in kleinen Schritten zeigen – auch im Vergleich zu den Therapie-Odysseen, die diese Eltern teilweise hinter sich haben.“

Über tiefgreifende Veränderungen berichtet Dr. Codoni auch bei Tumor- oder Traumapatienten. „Die MKG- und Oralchirurgie kann hier den Tumor im orofazialen Raum entfernen, lebenserhaltend eingreifen. Doch im Anschluss muss sich jemand um die Muskeln kümmern, um die Wiederherstellung der Funktion beim Sprechen, Beißen, Kauen, aber auch beim Lächeln.“ Insbesondere bei der Therapie von Gesichtstraumata gehe es „essenziell um die Würde des Patienten.” Es gehe darum, Lebensqualität (zurück) zu gewinnen. Dabei sei die körperorientierte Sprachtherapie nach Codoni wichtiger Dreh- und Angelpunkt, jedoch nicht allein entscheidend. „Wichtig ist, dass alle beteiligten Disziplinen koordiniert und aufeinander abgestimmt agieren, zusammen mit dem Betroffenen.“ Dies zu erreichen, erfordere ein festes interdisziplinäres Netzwerk, eine enge Abstimmung und eine gemeinsame Sprache. Regelmäßige Round-Tables zu einzelnen Fällen garantieren ein konsentiertes Vorgehen und am Ende den Behandlungserfolg. „Das ist natürlich eine Menge Extra-Aufwand“, der oft – aus Gründen – noch viel zu selten betrieben werde, der sich  jedoch für den Patienten in jedem Falle lohne. Schließlich sehe der einzelne Behandler lediglich die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. „Du musst bereit sein, hinabzutauchen, tief in die Krankengeschichte dieser Menschen, Dir ein vollständiges Bild zu machen und das dann mit dem jeweiligen Spezialisten zu diskutieren und die bestmögliche Therapie gemeinsam zu erarbeiten.” Besondere Patienten erforderten eben besondere Ideen.

Diese Ideen weiter zu tragen und weiter zu entwickeln, ist Dr. Codoni eine Herzensangelegenheit. Die Nachfrage ist groß. Deshalb setzt Dr. Codoni auf die Ausbildung von Instruktorinnen, die die Herangehensweise der „körperorientierten Sprachtherapie“ weitertragen, den „Codoni-Spirit” weitergeben. „Es gibt ein so großes Patientenklientel im Rahmen dieser orofacialen Dysfunktionen, vor allem im Bereich der kognitiv beeinträchtigten Menschen oder Menschen mit Syndromen, die nach wie vor viel zu wenig Gehör finden, denen nach wie vor viel zu wenig geholfen wird.” Dies zu ändern, hat sich Dr. Susanne Codoni zur Lebensaufgabe gemacht – durch ständige Weiterentwicklung des Behandlungskonzeptes, durch fundierte Ausbildung von Therapeuten und mithilfe einer eigens hierfür eingerichteten gemeinnützigen Stiftung.   


Dr. h.c. Susanne Codoni ist freischaffend als Konsiliaria und Senior Consultant an der Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Basel tätig. ​Hier war sie wesentlich an der Entwicklung des Weiterbildungsstudiengangs „Master in Cranio Facial Kinetic Science (MCFKSc)“ beteiligt. Ende März 2020 trat sie nach neun intensiven Jahren als Studienleitungsmitglied zurück und  bleibt weiterhin als Dozentin tätig.

Neben ihrer Tätigkeit in der Klinik und als Lehrbeauftragte an Fachhochschulen und Universitäten im In- und Ausland sowie als Konsiliaria führt Susanne Codoni seit 2002  eine eigene logopädische Praxis mit interdisziplinärer Ausrichtung. Seit 1989 ist sie am Aufbau der interdisziplinären Sprechstunde für Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) beteiligt und war bis 2013 Mitglied der LKG-Sprechstunde im Universitätsspital Basel. 2011 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der medizinischen Fakultät der Universität Basel verliehen.

Dr. Codoni entwickelte das System der körperorientierten Sprachtherapie (k-o-s-t®) nach S. Codoni und war beteiligt an den Entwicklungen des Systems ballovent® gemeinsam mit U. Hörstel sowie des Lippen-Wangen-Zungen-Trainers (LWZ). 

Darüber hinaus ist Dr. Susanne Codoni Vertreterin der Schweiz in der Euro-Asian Association of Orthodontists (EAO).

 


Bildnachweis: Thomas Ecke