Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

(veröffentlicht in Ausgabe 3/2020)

Die kieferorthopädische Behandlung mit Clear Alignern setzt auf die computergestützte Planung. Dabei geht die Planungssoftware vom Idealfall der Zahnbewegungen aus, um das gewünschte Ergebnis auf direktem Weg zu erreichen. In vielen Fällen funktioniert das auch gut. „Dennoch hält mancher Behandlungsverlauf Überraschungen bereit, auf die der Behandler reagieren muss.“, weiß Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski von der Berliner Charité, Kieferorthopäde und Professor für Orale Struktur- und Entwicklungsbiologie. „Auch beim autopilotgesteuerten Airbus sitzt ein Pilot im Cockpit – und das ist gut so!“ Wir befragten ihn zu seinen Erfahrungen mit möglichen Fehlerquellen in der kieferorthopädischen Therapie mit Alignern.

„Manchmal überraschen uns unvorhersehbare Wendungen in der Therapie mit Alignern“, berichtet Prof. Radlanski aus seiner Erfahrung. „Die können ganz vielfältig sein, weil die computergestützte Planung immer nur die Zähne mit ihren Zahnkronen umfasst. Was sich im Bereich der Wurzeln und des Knochens abspielt, wird von der Software nicht erfasst. Hierfür gibt es keine differenzierte Diagnostik, mit der wir einen Algorithmus speisen könnten.“ Deshalb achtet er bei seinen kieferorthopädischen Behandlungen besonders auf eine gründliche Planung, bei der er sich immer wieder in die Schienen und deren Biomechanik hineinzudenken versucht, um die geplante schrittweise Zahnbewegung nachzuvollziehen. „Schließlich müssen auch reziproke Wirkungen zwischen benachbarten Zähnen oder Zahngruppen berücksichtigt werden. Wenn man zu viele Zahnbewegungen auf einmal erreichen will, folgt die Simulation am Computer zwar diesem Wunsch, aber die Realität sieht dann manchmal anders aus“, so Prof. Radlanski. Fast immer berate er sich deshalb in der Planungsphase mit Kolleginnen und Kollegen im Arztzimmer.

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Effizienz der Behandlung mit Alignern kommen zu unterschiedlichen Resultaten. Von gut vorhersagbaren Ergebnissen berichten die einen: Zum Beispiel beim Drehen von Frontzähnen mit Nuvola®-Alignern (Geo UK 1). Andere Studiengruppen beobachteten Abweichungen bei der klinisch erreichten Zahnposition und dem ursprünglich geplanten Endergebnis 2,3. Die Untersuchungen von Charalampakis et al. vereinen beides und zeigen auf, welche Bewegungen (hier mit Invisalign®-Alignern, Align Technology) genau umgesetzt werden konnten: z.B. horizontale Bewegung von Schneidezähnen. Weniger genaue Ergebnisse wurden bei vertikalen Bewegungen, insbesondere Intrusionen der oberen Schneidezähne, erreicht. Alle Rotationen waren im Endergebnis kleiner als vorhergesagt, vor allem die der oberen Eckzähne 4. Die besondere Stellung des Behandlers in der Therapie mit Alignern heben Liu Y. et al vor 5 – ganz im Sinne von Prof. Radlanski: „Wenn nach Prozentzahlen gefragt wird, wie häufig überhaupt Fehler bei der Alignertherapie auftreten, so hängt das meiner Meinung nach von der Erfahrung des planenden Kieferorthopäden ab.“ Dabei kommt es laut Radlanski vor allem darauf an, mögliche Abweichungen rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen umgehend einzuleiten.

Wo liegt die größte Fehlerdichte?

Auf Nachfrage versucht Prof. Radlanski abzuschätzen, wo die höchste Fehlerdichte liegen könnte und wagt aufgrund seiner Erfahrungsfülle folgende

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Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski

ist Direktor der Abteilung für Orale Struktur- und Entwicklungsbiologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Ergänzend dazu arbeitet er in Teilzeit in einer Berliner kieferorthopädischen Gemeinschaftspraxis. Prof. Radlanski ist Präsident der EurAsian Association of Orthodontics (EAO) und war bis vor kurzem 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung (AfG) der DGZMK. Forschungen treibt er hauptsächlich in den Gebieten Craniofaciale Morphogenese, Orale Struktur- und Entwicklungsbiologie sowie im Bereich biologischer Grundlagen der praktischen Kieferorthopädie voran. Die Liste seiner Fachpublikationen ist lang: Sie reichen von zahlreichen Originalpublikationen, Buchbeiträgen und Lehrbüchern zur Grundlagenforschung, zu strukturbiologischen Grundlagen zahnärztlichen Handelns bis hin zu praktischen klinischen Beiträgen im Bereich Kieferorthopädie. Prof. Radlanski ist zudem ein international gefragter Referent in der kieferorthopädischen Weiterbildung und darüber hinaus Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und -redaktionen.