„Gendern“ in der Zahnheilkunde
Prof. Dr. Peter Kropp, Universitätsmedizin Rostock
Geschlechterunterschiede bei Patientinnen und Patienten in der medizinischen und zahnmedizinischen Behandlung werden immer häufiger beschrieben. Als „Gender“ wird das soziale Geschlecht bezeichnet und wird häufig dann eingesetzt, wenn es um Geschlechter-Rollen geht. „Sex“ ist dagegen das biologische Geschlecht. Manchmal sind Geschlechterunterschiede zuweilen lebensentscheidend. So führen Geschlechterunterschiede dazu, dass Depressionen bei Männern später erkannt werden. Außerdem klafft ein Unterschied von über sechs Jahren in der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern zum Vorteil von Frauen. In 1991 wurde vom sog. „Yentl-Syndrom“ berichtet, bei dem Frauen im Vergleich zu Männern eine koronare Herzkrankheit erst viel später diagnostiziert bekommen und eine entsprechende Behandlung erfahren (Der Film „Yentl“ beschreibt die Vita einer Frau, die sich als Mann verkleiden musste, um studieren zu dürfen). Die Empfehlung war einfach: „Verkleide Dich als Mann und Dir wird früher geholfen!“
Den Abrechnungsdaten in der Zahnheilkunde der Barmer-Ersatzkasse ist zu entnehmen, dass Frauen deutlich häufiger Zahnarztpraxen aufsuchen als Männer. Dies ist auch in Corona-Zeiten nicht anders. Interessanterweise entsteht dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern in der Häufigkeit des Praxisaufsuchens erst in der Altersklasse ab 15 Jahren. Bei jüngeren Patientinnen und Patienten gibt es keine Unterschiede beim Besuch von Praxen. In der Altersklasse ab 80 Jahren und älter gleichen sich die Besuchshäufigkeiten wieder an (Barmer Pressemitteilung 2021). Damit ist schon jetzt klar, dass es Geschlechter-Unterschiede in vielen Bereichen der Zahnbehandlung gibt und dies auch differenziert nach Altersgruppen.
Welche spezifischen Geschlechterunterschiede gibt es in der Zahnheilkunde? Hier kann die „SHIP“- Studie aus Greifswald weiterhelfen. Demnach sind Frauen mehr als Männer von Zahnverlust, Karies, Zahnlosigkeit und Erkrankungen im Kiefergelenk betroffen. Trotz erwiesener multifaktorieller Gegebenheiten kann gefolgert werden, dass Frauen mehr Wurzelkanalfüllungen bekommen und Männer mehr an Parodontitis erkranken (zusammenfassend: Gleisner 2017).
Hinsichtlich kieferorthopädischer Maßnahmen sind Frauen eher zu einer kieferorthopädischen Behandlung bereit und ihnen machen die Funktionseinschränkungen während der Behandlung weniger aus. Daraus wird geschlossen, dass Frauen eine höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität aufweisen. Sehr spannend ist, dass Persönlichkeitsfaktoren, die mit dem NEO-FFI (einem Fragebogen zur Erfassung von Persönlichkeitseigenschaften) gemessen wurden, die Oralgesundheit „Oral Health Impact Profile (OHIP)“ nach der Behandlung vorhersagen können – dies aber nur bei Männern und nicht bei Frauen. So sagen hohe Werte in „Gewissenhaftigkeit“, „Extraversion“ und „Offenheit für neue Erfahrung“ die orale Gesundheit nach der Behandlung aus (Al Nazeh et al., 2020). Man könnte also mit einem einfachen psychologischen Fragebogen den Erfolg der KFO-Maßnahme nicht nur validieren, sondern auch für später vorhersagen – allerdings nur bei Männern.
Wie dem auch sei – der kleine Unterschied macht sich auch in der Zahnbehandlung und speziell bei kieferorthopädischen Prozeduren bemerkbar und sollte deswegen immer berücksichtigt werden.