
Im Notfall online?
Kann die KI-gestützte Fernüberwachung (DentalMonitoring) dazu beitragen, das Management von Notfallterminen bei komplexen Aligner-Behandlungen zu optimieren?
Tele-Kieferorthopädie und Fernüberwachung entwickeln sich immer mehr zu unverzichtbaren Bestandteilen der zahnärztlichen Versorgung. Sie ermöglichen es Kieferorthopäden, ihre Patienten proaktiv durch virtuelle Untersuchungen zu überwachen, welche die Behandlungstermine vor Ort ergänzen. Nur wenige Studien haben die Rolle der Fernüberwachung beim Management von Notfällen in der Kieferorthopädie untersucht, und dies auch nur während der Pandemie.
Dr. Camilla Molinari hat sich vorgenommen, dies zu ändern.
Ziel dieser Studie ist es, zu untersuchen, wie DentalMonitoring (DM) im klinischen Alltag dazu beitragen kann, das Fernmanagement von Notfällen bei komplexen Aligner-Behandlungen
zu optimieren. Zudem sollen die Auswirkungen auf die Praxiseffizienz und die Wahrnehmung dieses Ansatzes durch die Patienten untersucht werden.
Methoden. Eine Stichprobe von 39 Patienten, die eine Behandlung mit dem Invisalign-System erhalten haben (20 in der Kontrollgruppe, 19 in der DMGruppe) hat die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllt. Die Informationen über beide Gruppen wurden aus der Management-Software derselben Privatpraxis extrapoliert: Sie umfassten die Gesamtzahl der Termine und Nachbesserungen, die Anzahl der Notfälle und die Notfallkategorien (schlecht sitzender Aligner, parodontale Beschwerden, verlorene Attachments oder Buttons). Jeder Notfall wurde auch dahingehend bewertet, ob er einen Praxisbesuch erforderte oder aus der Ferne bearbeitet wurde, und ob er antizipiert oder direkt in der Praxis abgefangen wurde. Zu den weiteren Informationen, die aus dem DM-Dashboard extrapoliert wurden, gehörten Compliance- und Nachverfolgungsprobleme der Patienten (Probleme mit Alignern und/oder mit der Hygiene) sowie die Anzahl der Nachrichten, die die Patienten über die DM-App an die Praxis geschickt hatten. Außerdem wurden die Patienten gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, in dem ihre Wahrnehmung von DM bewertet wird.
Ergebnisse. 88,2% der Notfälle in der DM-Gruppe wurden aus der Ferne behandelt, verglichen mit 8,8% in der Kontrollgruppe – ein signifikanter Unterschied (OR = 70, p<0,0001). Die häufigsten Notfälle, die von der KI von DM während der Behandlung festgestellt wurden, waren: Spürbar schlecht sitzende Aligner (84%), gefolgt vom Verlust eines Attachments/Buttons (42% und 21%) und schließlich Hygieneprobleme (15%). Ein weiterer signifikanter Unterschied (t=7,5, CI [7,7-13,5], p<0,0001) zwischen den beiden Gruppen war die Gesamtzahl der Praxistermine: 11,6 Termine in der DM-Gruppe im Vergleich zu 22,2 in der Nicht-DMGruppe. Schließlich haben die Ergebnisse des Fragebogens gezeigt, dass mehr als 85% der Patienten, die an der Studie teilgenommen haben, DM als einen Mehrwert für ihre Behandlung ansehen und dass sie die Tatsache, dass ihre Behandlung ständig überwacht wird, sehr beruhigt: 79,8% der Patienten hielten es für „wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“, dass sie durch DM ihre Behandlung eher akzeptierten und kooperativer waren; 92,5% der Patienten gaben an, dass es „sehr einfach“ oder „einfach“ war, Scans durchzuführen, und 91% der Patienten nutzten die DM-App, um Fragen zu ihrer Behandlung an die Praxis zu senden.
Schlussfolgerung. Der Einsatz von DentalMonitoring bei Aligner-Behandlungen erwies sich als sehr effiziente Methode zur Fernbehandlung von Notfällen, die in 88,2% der Fälle keinen Praxisbesuch erforderte. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang der Gesamtzahl der Termine um 48%. Die DM-Gruppe zeigte sich zudem sehr zufrieden mit diesem Management-Ansatz für ihre Behandlung.
Vollständige Umfrage
Vorwort
Tele-Kieferorthopädie und Fernüberwachung werden immer mehr Realität und ermöglichen es Kieferorthopäden, ihre Patienten proaktiv durch virtuelle Untersuchungen zu überwachen, die die Behandlungstermine vor Ort ergänzen [1, 2]. Die meisten Studien, die über den Einsatz von DentalMonitoring durchgeführt wurden, haben sich auf die Genauigkeit der algorithmischen Software
[8] und ihre Effizienz bei dem Behandlungsmanagement aus der Ferne hinsichtlich einer verkürzten Behandlungszeit und einer gesteigerten Behandlungseffizienz. [3, 4] konzentriert. Es wurden
bisher jedoch noch keine Studien zur Effizienz von DM bei kieferorthopädischen Notfällen durchgeführt. Nur wenige Studien haben die allgemeine Fähigkeit der Tele-Kieferorthopädie, Notfälle aus der Ferne abzuwickeln, untersucht, und dies auch nur während der Pandemie unter Verwendung von Sprachanrufen und Smartphone-Apps wie WhatsApp® Messenger [5,6,7].
Ein kieferorthopädischer Notfall wird als ein Problem im Zusammenhang mit der kieferorthopädischen Mechanik definiert, der ein schnelles Eingreifen erfordert, um folgende Situationen zu meistern [7]:
- Beseitigung starker körperlicher Beschwerden (Geschwüre, Reizungen der Schleimhäute, Lippen oder Zunge);
- Behandlung infektiöser Prozesse (parodontale Abszesse durch kieferorthopädische Apparaturkomponenten);
- Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der kieferorthopädischen Mechanik, die die Unversehrtheit des tragenden Zahngewebes beeinträchtigen oder negative Auswirkungen haben könnten, wenn sie nicht von einem Kieferorthopäden kontrolliert werden;
- Beruhigen des Patienten bei psychologischen Problemen.
Diese Studien zeigen, dass kieferorthopädische Notfälle im Verlauf der Behandlung recht häufig vorkommen und dass viele Situationen möglicherweise auch aus der Ferne, ohne einen Praxisbesuch, behandelt werden könnten.
Ziel dieser Studie ist es, zu untersuchen, wie der Einsatz von DM dazu beitragen kann, die Erkennung und das Management von Notfällen aus der Ferne bei komplexen Aligner-Behandlungen zu optimieren, die potenziellen Auswirkungen auf die Praxiseffizienz im Hinblick auf die Behandlungskontrolle und die Einsparung von Praxisterminen zu erfassen und zu ermitteln, wie dieser Ansatz von den Patienten wahrgenommen wird.
Methoden
Datenerfassung
Eine Stichprobe von 39 Patienten, die eine Behandlung mit dem Invisalign® System erhalten haben (20 in der Kontrollgruppe, 19 in der DM-Gruppe) hat folgende Ein- und Ausschlusskriterien erfüllt:
1) Alle Patienten waren Jugendliche oder erwachsene Patienten (Alter > 11 Jahre)
2) komplexe Zahnfehlstellungen, die mehr als 40 Aligner für beide Zahnbögen erfordern
3) Es wurden keine Frühbehandlungen/Behandlungen in Phase 1 einbezogen.
Die Informationen über beide Gruppen wurden aus der Management-Software (G.S.O. und Mach3) derselben Privatpraxis wie folgt extrapoliert:
- Die Gesamtzahl der Notfälle
- Die Kategorie des Notfalls und wie er bewältigt wurde (Tabelle 1)
- Die Gesamtzahl der Termine
Aus dem DM-Dashboard wurden weitere Informationen für die DM-Gruppe extrahiert: die Patienten-Compliance (d.h., wie oft die Patienten pünktlich gescannt haben) und die Anzahl der Nachrichten, die die Patienten über die DM-App direkt an die Praxis geschickt haben.
Schließlich wurde eine Umfrage an 280 Patienten derselben Praxis, die DM in Anspruch nahmen, geschickt, um ihre Wahrnehmung dieses Ansatzes zu bewerten; 94 haben daran teilgenommen. Die Umfrage wurde auch zur Berechnung des Net Promoter Score (NPS) der Praxis verwendet. Der NPS ist eine weit verbreitete Marktforschungskennzahl, die in der Regel in Form einer einzigen Frage erfasst wird, bei der die Befragten gebeten werden, (auf einer Skala von 1 bis 10) zu bewerten, für wie wahrscheinlich sie es halten, ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Dienstleistung einem Freund oder Kollegen zu empfehlen. Der NPS setzt eine Unterteilung der Befragten in „Promotoren“ voraus, die Bewertungen von 9 bis 10 abgeben, „Indifferente“, die eine Bewertung von 7 bis 8 abgeben, und „Detraktoren“, die eine Bewertung von 6 oder niedriger abgeben. Anschließend wird eine Berechnung durchgeführt, bei der der Prozentsatz der Detraktoren vom Prozentsatz der Promotoren abgezogen wird, die das Umfragethema ermittelt hat (Abb. 1). Hauptziel des NPS ist die Vorhersage der Kundentreue.
Statistische Analyse
Aufgrund der Ungleichheit der Varianzen wurde der Zweistichproben-t-Test verwendet, um die Anzahl der Termine zwischen den beiden Gruppen zu vergleichen. Die Odds-Ratio wurde verwendet, um festzustellen, ob die Zugehörigkeit zur DMGruppe einen Einfluss darauf hatte, ob das Problem aus der Ferne gelöst wurde oder nicht.
Ergebnisse
Aus der Praxisverwaltungssoftware extrahierte Daten.
- Die Gesamtzahl der Notfälle unterschied sich wie folgt zwischen den beiden Gruppen: 51 in der DM-Gruppe im Vergleich zu 34 in der Nicht-DM-Gruppe.
- Trotz einer höheren Anzahl von Notfällen hatte die DM-Gruppe eine signifikant geringere Anzahl von Praxisterminen als die Nicht-DM-Gruppe (t=7,5, CI [7,7- 13,5], p<0,0001): Die durchschnittliche Anzahl der Termine in der DM-Gruppe betrug 11,6 im Vergleich zu 22,2 in der Nicht-DMGruppe (Abb. 2).
- Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass in Wirklichkeit nicht die Zahl der Notfälle an sich zugenommen hat, sondern dass durch die Fernüberwachung die Fähigkeit, Probleme abzufangen, erheblich verbessert wurde; und sehr oft konnten sie aus der Ferne behandelt werden (Abb. 3), so dass kein weiteres Eingreifen bzw. eine Verlängerung der Therapie erforderlich war.
- Bei 88,2% der DM-Patienten wurden Notfälle aus der Ferne behandelt, im Vergleich zu 8,8% in der Nicht-DM-Gruppe. Dieser Unterschied erwies sich als signifikant: Es hat sich gezeigt, dass bei einem Notfall eines DM-Patienten eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass er aus der Ferne behandelt werden kann, verglichen mit einem Nicht-DM-Patienten. (OR = 70, p< 0,0001)
Erörterung
In dieser Studie wurde eine signifikant höhere Anzahl von Notfällen in der DM-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe festgestellt (51 gegenüber 34).
Dies war darauf zurückzuführen, dass DM in der Lage war, Probleme, die den Patienten oft nicht bewusst sind, frühzeitig zu erkennen, bevor sie sich verschlimmern und die Behandlung aus dem Zeitplan geraten kann. Der häufigste Notfall war zum Beispiel ein spürbares Problem mit dem Sitz der Aligner mit durchschnittlich 12,6 Problemen pro Behandlung bei 84% der Patienten.
Wenn der Aligner nicht richtig sitzt, besteht die Gefahr, dass die Behandlung nicht wie geplant verläuft, was zu einer Verzögerung und zu möglichen weiteren Alignern führt – eine Situation, die sowohl für den Arzt als auch für den Patienten frustrierend sein kann.
Diese Vorfälle konnten mit DM ganz einfach aus der Ferne gelöst werden; die Patienten erhielten einfach eine Anleitung, wie sie die Chewies effektiver verwenden und ihre Aligner länger tragen können. In Fällen, in denen ein Button oder ein Attachment verloren ging, überprüfte der Kieferorthopäde die Bilder und bewertete, ob diese für die Zahnbewegung zu diesem Zeitpunkt der Behandlung kritisch waren oder nicht und ordnete diese „Notfälle“ entsprechend nach Priorität.
91% der Patienten nutzten die Chatfunktion, um der Praxis direkt eine Nachricht zukommen zu lassen, wobei durchschnittlich 8,8 Nachrichten pro Patient gesendet wurden. Das Kommunizieren über die App anstatt jedes Mal, wenn der Patient eine Frage hat, in der Praxis anzurufen, hat die Zahl der Anrufe in der Praxis und damit die Belastung der Mitarbeiter stark reduziert.
In der Kontrollgruppe sah das Notfallprotokoll vor, dass der Patient in der Praxis anrufen und das Personal diese Anfragen an den Arzt weiterleiten sollte, wenn es zu einer klinischen Situation kam. Im Zweifelsfall bat der Arzt die Patienten, ein Foto über Whatsapp® zu schicken, um die Situation anhand dieser Fotos zu beurteilen und dann zu entscheiden, ob er den Patienten in die Praxis rufen sollte oder nicht. Ein Verfahren mit vielen Einzelschritten ist für den Arzt, das Personal und den Patienten anstrengend und zeitaufwändig.
Interessant zu beobachten war die hohe Compliance-Rate in der DM-Gruppe: 75% der Patienten führten ihre Scans pünktlich durch und nur 0,5% der Patienten hatten mit ihren Scans Verspätung (mehr als zwei Wochen). Dies deckt sich mit ihrer Antwort auf die Frage, wie wahrscheinlich es ist,
dass DM sie zu einer höheren Compliance veranlasst. Das Ergebnis: 79,8% der Patienten hielten es für „wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“ dass sie durch DM ihre Behandlung eher akzeptierten und kooperativer waren.
Schließlich stimmen die Ergebnisse der Umfrage mit der vorhandenen Literatur zu dem Thema überein, wie positiv Patienten die Fernüberwachung wahrnehmen [2,9], was manchen Ärzten widersprüchlich erscheinen mag, da sie befürchten, dass sich die Beziehung zu den Patienten verschlechtern könnte, wenn sie sie nicht so oft sehen. Ein weiterer aussagekräftiger Indikator dafür war der NPS. Die 94 Teilnehmer der Umfrage gaben DM den NPS-Score 52,6 und der Praxis den signifikanten NPS-Score in Höhe von 84,9. Laut Bain & Company [12], dem Entwickler des NPS-Systems, ist jeder NPS-Score über 0 „gut“, über 20 „günstig“, über 50 „ausgezeichnet“ und über 80 „Weltklasse“. Dies bestätigt die hohe Zufriedenheit der Patienten mit ihrer Fernüberwachungserfahrung mit DM und der Praxis im Allgemeinen. Um dies in die richtige Perspektive zu rücken: Jüngsten Umfragen zufolge liegt der durchschnittliche NPS-Score einer Zahnarztpraxis heute bei 1[11]
Die Patienten, die an der Umfrage teilgenommen haben, würden diesen Ansatz sogar gerne auf andere Behandlungsbereiche anwenden, z. B. auf die Retention und die Hygieneüberwachung.
Schlussfolgerungen
Der Einsatz von DentalMonitoring bei Aligner-Behandlungen erwies sich als sehr effiziente Methode zur Erkennung und Behandlung von Notfällen aus der Distanz. Die
engmaschige Überwachung der Patientenbehandlungen durch regelmäßige Scans hatte zur Folge, dass Probleme, die normalerweise unbemerkt bleiben würden, häufiger und früher erkannt wurden, so dass frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden konnten, um eine Verschlechterung zu verhindern. Darüber hinaus erforderten diese Notfälle in 88,2% der Fälle keinen Besuch in der Praxis, was zu einer erheblichen Verringerung der Gesamtanzahl der Termine um 48% führte.
Auf Patientenseite ergab die Umfrage eine sehr hohe Zufriedenheitsrate: 88,3% der Patienten gaben an, dass sie DM als einen Mehrwert für ihre Behandlung ansehen. Etwa 91% der Patienten standen über die Nachrichtenfunktion der DM-App in ständigem Kontakt mit ihrer Praxis, was sich außerdem zur Folge hatte, dass sich der Zeitaufwand und die Belastung des Praxispersonals erheblich verringerte.
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