KFO, Implantologie, Prothetik – Hand in Hand

Mit dem Ziel einer bestmöglichen Therapie verzahnen moderne Behandlungskonzepte zunehmend verschiedene Fachdisziplinen miteinander und behandeln Patientinnen und Patienten in einem größeren Kontext, wobei insbesondere deren Bedürfnis nach einer möglichst natürlichen Ästhetik immer wichtiger zu werden scheint. Wie das im interdisziplinären Zusammenspiel unter Berücksichtigung individueller Wünsche gelingen kann, zeigt folgende Falldokumentation der Therapie einer komplexen oralen Situation, die vorbereitende kieferorthopädische Maßnahmen mit einer anschließenden implantatprothetischen Versorgung patientenfreundlich kombiniert.

 

KFO, Implantologie, Prothetik – Hand in Hand

von Prof. Dr. Sigmar Schnutenhaus (Hilzingen)

Über den fachlichen Tellerrand zu blicken und offen für Bedürfnisse und Wünsche von Patientenseite zu sein, gehört inzwischen ebenso zu einer modernen Versorgung dazu wie die regelmäßige Optimierung von Praxisabläufen und das Aktualisieren von Behandlungsverfahren. Moderne Behandlungskonzepte sind individuell und zunehmend interdisziplinär.

 

Vorbereitende kieferorthopädische Maßnahmen

Die Erfahrung aus dem Praxisalltag zeigt, dass sich immer mehr Patientinnen und Patienten eine perfekte ästhetische Lösung wünschen: Früher arbeitete man noch altersentsprechende, naturgemäße Verschachtelungen innerhalb einer prothetischen Rehabilitation mit ein – heute ist das nicht mehr zeitgemäß. Um diese Entwicklungen zu bedienen, beginnt die Versorgung beispielsweise in implantatprothetischen Behandlungsfällen nun stattdessen bereits vor dem implantologischen Eingriff mit der Optimierung der Ausgangssituation durch kieferorthopädische Schritte.

Dabei kommen ganz im Sinne der Patienten z.B. unauffällig zu tragende Aligner zum Einsatz, mit dem Ziel, Engstellen aufzulösen, Zahnbögen besser auszuformen oder gekippte Zähne aufzurichten – und so die Lückensituation für die anschließende implantatprothetische Therapie optimal vorzubereiten. Damit trägt die Alignertherapie zu einer Erleichterung der Gesamtbehandlung und zu einem ästhetischeren Behandlungsergebnis bei. Die folgende Falldokumentation liefert ein zeitgemäßes Beispiel für eine interdisziplinäre Behandlung mit Fokus auf der vom Patienten individuell gewünschten Ästhetik.

Fallbeispiel: KFO, Implantologie und Prothetik eng verknüpft

Eine 37-jährige Patientin mit allgemeinmedizinisch unauffälliger Anamnese wurde mit einer apikalen Parodontitis an Zahn 37 in der Praxis vorstellig. Abbildung 1 zeigt den Anfangsbefund, der ein langjähriges Fehlen von 15, 25, 35 und 45 dokumentiert. Im Rahmen der Akutbehandlung wuchs bei der Patientin der Wunsch nach einer Gesamtrehabilitation mit harmonischer Ästhetik, da ihre Zahnlücken beim Sprechen deutlich zu sehen waren. Gemeinsam mit der Patientin fiel die Entscheidung auf eine Vorbehandlung mit Alignern (ClearCorrect™/Straumann Group), um die Ausgangssituation für die implantatprothetische Versorgung optimal vorzubereiten und die Lücken zur Aufnahme der Implantatkronen adäquat zu öffnen.

Nach der Erstellung eines Panoramaröntgenbildes, eines Fotostatus´ (s. Abb. 2a-c) und eines Intraoralscans erfolgte die Übermittlung der Daten an den Alignerhersteller als Grundlage für die 3D-Fallplanung. Im anschließend übersandten Behandlungsvorschlag kann der Behandler bzw. die Behandlerin weitere individuelle Anpassungen vornehmen. Nach Abschluss der individuellen Planung muss diese durch ihn oder sie final freigegeben werden, dann wird die Herstellung der Aligner in Auftrag gegeben. In einem Besprechungstermin mit der Patientin vorab wurde die vorbereitende kieferorthopädische Maßnahme noch einmal veranschaulicht und das angestrebte Ziel mit Hilfe einer Planungssoftware visualisiert (s. Abb. 3a-c) und das weitere Vorgehen mit ihr abgestimmt.

Überlappende Planung kieferortho­ädischer, chirurgischer und prothetischer Schritte

Im vorliegenden Behandlungsfall wurde bezüglich kieferorthopädischer, chirurgischer und prothetischer Maßnahmen überlappend geplant, um der Patientin entgegenzukommen und das Zeitmanagement zu verbessern. Für die vorbereitende kieferorthopädische Maßnahme erhielt die Patientin im Oktober 2021 neun individuell gefertigte Alignerpaare (s. Abb.4) und zwei Attachments an Zahn 23 und 43 zur Unterstützung der Therapie. Der Wechsel der Alignerpaare sollte dabei alle 14 Tage erfolgen. Auf zusätzliche Schmelzreduktionen konnte im Falle der Patientin verzichtet werden.

Die Patientin gewöhnte sich schnell an das Tragen der Schienen und da die Aligner herausnehmbar sind, musste sie sich in ihren Ess- und Zahnpflegegewohnheiten nicht umstellen. Dank der hohen Patientenakzeptanz und -motivation verlief die Alignertherapie komplikationslos, so dass sich direkt die zweite Phase des Behandlungsplans im März 2022 anschloss: Im Zuge des chirurgischen Eingriffs wurden vier Implantate inseriert (regio 15: Straumann Bone Level Tapered D 3,3 L12mm; regio 24 BLT D 3,3 L10mm; regio 37 und regio 45 BLT 4,1 mm L10mm). Die Abbildung 5 zeigt die Röntgenkontrolle nach Insertion. Damit die Patientin weitere sechs Schienenpaare während der Einheilphase (Tragedauer: 12 Wochen) unkompliziert tragen kann, wurde hier bewusst eine subgingivale Einheilung der Implantate veranlasst. Die Attachments blieben in situ und zum Ende der Einheilzeit waren die Lücken wie geplant geöffnet, so dass direkt die implantatprothetische Versorgung erfolgen konnte.

Unmittelbar nach Einsetzen der Prothetik wurden intraorale Scandaten der aktuellen Situation auf das Doktorportal hochgeladen. Damit es zu keinen Rückstellungen kommt, muss dieser Schritt stets zeitnah erfolgen. Ab Juni 2022 trug die Patientin die finalen Alignerpaare (Abb. 6a-c). Das vorläufige Ergebnis dokumentieren die Abbildungen 7a-c und 8, womit die Patienten bereits sehr zufrieden war. Um die Lücke um Zahn 12 noch einmal zu reduzieren, wurden zusätzliche Aligner zur Korrektur angefertigt. Danach erhielt die Patientin Retainer aus gefrästen Titansplints an der Lingualfläche der Frontzähne, um die Situation dauerhaft zu stabilisieren.

Aligner als Teil der Gesamtbehandlung

Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Trend in der modernen Patientenversorgung immer mehr in Richtung individuelle, mitunter interdisziplinäre, Behandlungskonzepte geht, wobei ein klarer Fokus auf der insbesondere vom Patienten verstärkt nachgefragten natürlichen Ästhetik liegt. Um das Gesamtergebnis einer interdisziplinären Behandlung, wie hier im Beitrag beispielhaft an der 37-jährigen Patientin vorgestellt, im Sinne des Patienten ästhetischer werden zu lassen, bietet sich eine vorbereitende Alignertherapie als Teil einer zeitgemäßen Gesamtbehandlung an.
Auf diese Weise kann ein hohes Maß an Patientenzufriedenheit generiert werden, was auch die weitere Beziehung zwischen behandelndem Arzt und Patient stärkt. Vom ästhetischen Benefit aber einmal abgesehen, dokumentiert der vorgestellte Behandlungsfall auch sehr gut, wie mithilfe vorbereitender kieferorthopädischer Maßnahmen die Ausgangssituation für chirurgische und prothetische Versorgungen optimiert werden kann, um ein bestmögliches Behandlungsergebnis im Zusammenspiel verschiedener Fachdisziplinen zu erzielen.

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