Kinder und Kieferorthopädie
Es geht auch mit weniger Stress
Prof. Dr. Peter Kropp, Universitätsmedizin Rostock
Die Behandlung von Kindern in der kieferorthopädischen Praxis kann gelegentlich etwas stressig sein. Dies muss nicht unbedingt an der aktuellen Behandlungssituation liegen, sondern eher an der Erfahrung, die das Kind mit Zahnbehandlungen oder Behandlungen generell gemacht hat. Denken Sie bitte an die „Klassische Konditionierung“ nach Pawlov: Bereits eine einmalige schmerzhafte Erfahrung (unkonditionierter Reiz) kann zu einer Angstreaktion (unkonditionierte Reaktion) führen. Wenn jetzt noch ein eigentlich neutraler Reiz wie der Zahnarztkittel hinzukommt, wird dieser zu einem konditionierten Signalreiz für Angst. Da kann der Behandler selbst oft nichts dafür, weil das Signal des weißen Kittels an anderer Stelle konditioniert sein kann. Dazu kommt, dass die Toleranzschwelle bei mehr belastenden oder zeitkritischen Prozeduren (neben der Trepanation auch das Anfertigen eines Abdruckes) durch die Anwesenheit eines Elternteils abnimmt. Kinder halten also weniger aus und ertragen weniger, wenn ein Elternteil anwesend ist (Pagé et al. 2013). Wie kann man es also erreichen, dass Kinder bei der Behandlung besser mitmachen? Es ist kaum möglich, die Behandlung ohne Mutter oder Vater durchzuführen (obwohl es sinnvoll wäre). Deswegen hat sich bewährt, den Umgang mit dem Kind unter folgenden Gesichtspunkten zu gestalten, wie sie in der Tabelle aufgeführt sind. Diese wirken einerseits de-konditionierend im Sinne der Klassischen Konditionierung. Außerdem erfährt das Kind für ein bestimmtes Verhalten eine Belohnung, was im Sinne der „Operanten Konditionierung“ gewertet werden darf (Welly et al. 2012).
Man wird feststellen, dass einige der aufgeführten Punkte mehr Zeitaufwand im Umgang mit den kleinen Patienten bedeuten. Insgesamt aber wird die Behandlung belastungsärmer, was die Psychohygiene sowohl des Kindes als auch des Behandlers bessert und so zu einer stressärmeren Situation führt.
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Faktoren für einen erfolgreichen Umgang mit Kindern in der Praxis
1. Beziehungsaufbau
Kinder benötigen eine Phase der „Akklimatisierung“ und des Vertrauensaufbaus. Es ist also sinnvoll, zunächst ein kurzes Gespräch mit dem kleinen Patienten zu beginnen und sich dabei über Vorlieben des Kindes zu orientieren. Puppen – Fußball – Basteln – alles kann dabei angesprochen werden.
2. Perspektive wechseln
Es kann sehr sinnvoll sein, sich in die Situation des Kindes hineinzuversetzen. Dabei wirkt eine neuartige Behandlungssituation oft ängstigend. Hilfreich ist dabei, genau diesen Aspekt zu benennen: „Das hast Du bestimmt noch nicht gesehen – ich zeige Dir mal, was man damit machen kann.“
3. Zeit nehmen
Je kleiner das Kind, desto mehr Zeit benötigt der Beginn einer Behandlung. Er dient dem Angstabbau und fördert die Beziehung hin zu besserer Adhärenz des Kindes.
4. Viel reden
Auch wenn Kinder schnell überfordert scheinen, sollte man viel mit dem Kind reden. Dies fördert den Beziehungsaufbau und es mindert die Distanz zum Kind. Außerdem könnte das Kind bei direkter Ansprache die Anwesenheit des Elternteils vergessen.
5. Kindgerechte Sprache verwenden
Das Gespräch sollte kind- und altersgerecht erfolgen. Die Höhenverstellung des Sitzes ist ein „Fahrstuhl“, der Speichelabsauger ein „Staubsauger“ und dann gibt es auch noch den „Wasserspritzer“. Zu Beginn einer Behandlung kann das Kind ja selbst einmal ausprobieren, wie der Wasserspritzer funktioniert.
6. Transparenz schaffen
Jeder Behandlungsschritt, auch wenn er noch so kurz ist, sollte angekündigt und erklärt werden. So kann beim Anlegen der Abdruckmasse auf den „Kaugummi“ hingewiesen werden, der kurz die Zähne umschließt.
7. Auf die Reaktionen des Kindes eingehen
Wenn sich das Kind unwohl fühlt oder sich ängstigt, dann sollte dies benannt werden und es sollte nach Möglichkeit eine Pause eingelegt werden. Dies kann in folgender Form angekündigt werden: „Oh, ich merke, dass Du dich unwohl fühlst. Sollen wir eine kurze Pause machen und warten, bis Du Dich besser fühlst? Dann warte ich kurz und Du sagst mir, wann es weitergehen soll.“
8. Hilflosigkeit vermeiden
Eigene Hilflosigkeit oder die beim Kind unbedingt vermeiden. Ein Kind erkennt schnell, inwieweit eine Hilflosigkeitssituation aufkommt. Eigene Schwächen ruhig mit etwas Selbstkritik kommentieren („ich glaube, das muss ich noch einmal machen“, oder „das habe ich schon besser gekonnt“).
9. Kein Behandlungsschritt ohne vorherige Ankündigung
Jeder Behandlungsschritt sollte vorher angekündigt werden, damit das Kind in einer Prozedur nicht überfahren wird. Es hat sich bewährt, die einzelnen Schritte ähnlich zu kommentieren, wie wenn Sie einem Kollegen etwas erklären – nur viel einfacher.
10. Nach jedem Behandlungsschritt loben
Jeder erfolgreiche Behandlungsschritt sollte durch ein kurzes Lob („klasse“, „toll“) abgeschlossen werden. Am Ende der Behandlung immer noch einmal kräftig belohnen.
11. Elternteil als stiller Beobachter
Nach Möglichkeit sollte mit dem Elternteil vorab vereinbart werden, dass es sich nicht in die Kommunikation zwischen Zahnarzt und Kind einmischt. Auch wenn das Kind unruhig wird, sollte keine Reaktion seitens des Zuschauers erfolgen.
12. Humor hilft
Anders als Erwachsene verstehen Kinder einen Witz viel schneller. Allein schon die kindgerechte Bezeichnung der Behandlungseinrichtung wirkt komisch und damit witzig. Solange ein Kind mitlachen kann, empfindet es keine Angst. Deswegen ist Humor auch immer in der Beziehung zum Kind sinnvoll.
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Literaturnachweise:
Pagé MG, et al. (2013). Identification of pain-related psychological risk factors for the development and maintenance of pediatric chronic postsurgical pain. J Pain Res. 2013; 6: 167–180.
Welly A et al. (2012). Impact of dental atmosphere and behaviour of the dentist on children’s cooperation. Appl Psychophysiol Biofeedback.37(3):195-204.