Konnektive Intelligenz: Die wahre KI
Wie das neue Miteinander von Mensch und Maschine den Alltag im Jahr 2050 prägen wird – ein Auszug aus dem Think Tank-Report „Konnektivität: Wie werden wir im Jahr 2050 leben?“ im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung.
von Dr. Daniel Dettling und Christian Schuldt, zukunftsinstitut
Digitale Kommunikationstechnologien verändern unser Leben und schaffen neue Lebensstile und Verhaltensmuster: Die Welt wird zum Netzwerk – und zum Schauplatz einer allgegenwärtigen Algorithmisierung. Tatsächlich befinden wir uns sogar schon auf dem Weg in eine „postdigitale“ Zeit: Im Jahr 2050 werden Computer und Künstliche Intelligenz (KI) nur noch durch Abwesenheit auffallen können.
Zugleich ist die unkritische Netzeuphorie der 2000er-Jahre, in denen das Internet als Wahrheits-, Demokratie- und Wissensmedium gefeiert wurde, schon lange verflogen. Die Angst vor digitaler Überwachung, Cybermobbing und Shitstorms hat soziale Medien in digitale Pranger verwandelt; digitale Filterblasen und Fake News verfälschen unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. Eine zentrale Zukunftsaufgabe besteht deshalb darin, ein aufgeklärteres, systemisches Verständnis von Digitalisierung zu entwickeln und zu kultivieren.
Das heißt zuallererst: Digitalisierung nicht mit Technologie gleichzusetzen, sondern umfassender zu verstehen – als technologisch vernetzte Kommunikation. Der digitale Wandel ist ein soziotechnischer Prozess, in dem der Mensch eine immer wichtigere Rolle spielt, gerade weil digitale Technologien sämtliche Lebensbereiche durchdringen, soziokulturelle Codes reprogrammieren und neue Lebensstile, Verhaltensmuster und Geschäftsmodelle hervorbringen. Eine dringliche Zukunftsherausforderung ist deshalb ein neues, systemisches Verständnis von KI im Sinne einer Konnektiven Intelligenz: der Auf- und Ausbau neuer Verbindungen zwischen sozialen, ökonomischen und politischen Innovationen.
Die Dystopie: Der Supermensch
Google, hat einen Plan: Mithilfe von gewaltigen Datenmengen, smarter Software und immer schnelleren Rechnern will er den Tod aufhalten. In Zukunft, vielleicht im Jahr 2050, werden laut Kurzweil winzigste Nano-Roboter im Körper das Immunsystem unbezwingbar machen. Krankheiten hätten dann keine Chance mehr. Das Ziel: „ewige Jugend erlangen“. Bereits 2045, so prophezeit Kurzweil, werde der Computer den Menschen in fast allen Feldern übertreffen.
Mit dieser Vision ist Kurzweil nicht allein, auch der Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari prognostiziert ein Upgrade des Menschen zum gottgleichen Übermenschen. Die Vision des Transhumanismus – die Erweiterung der Grenzen menschlicher Möglichkeiten durch den Einsatz von Technologien – verkennt jedoch, dass das menschliche Gehirn nicht wie ein Computer funktioniert: Ein Modell des Gehirns ist noch kein Gehirn.
Davon abgesehen ist die transhumanistische Vision der Verschmelzung von Mensch und Maschine und die Umsetzung einer algorithmisch berechneten Ethik eine lupenreine Dystopie: Geben wir unsere Macht an die Maschinen ab, werden wir zum Homo obsoletus – überflüssig. Die Leitmotive des Transhumanismus sind unvereinbar mit dem Prinzip der Menschenwürde – weshalb er auch von der großen Mehrheit der Menschen abgelehnt wird. Die Ära der technoiden Supermenschen, die sich mithilfe von Gentechnik und Computern die Gehirne aufrüsten oder in Roboter verwandeln, werden wir auf absehbare Zeit nicht erleben.
Die Protopie: Der konnektive Mensch
Lernende Maschinen können in großen Datenmengen Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen, Problemlösungen optimieren und so die Effizienz der gesamten Wirtschaft steigern. Sie sind lernfähig und können viele Antworten geben – aber sie stoßen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, unbekannte Probleme zu identifizieren. Im datenfreien Raum sind sie orientierungslos: Definiert der Mensch nicht das zu lösende Problem, können Maschinen auch nicht innovativ sein. Unter unsicheren und überraschenden Rahmenbedingungen stößt KI an ihre Grenzen. Dann schlägt das autonome menschliche Denken autonome maschinelle Systeme.
Künstliche Intelligenz wird deshalb weder zu einer neuen „Superintelligenz“ führen noch zu einer Übermacht der maschinellen über die menschliche Intelligenz. Im Unterschied zum Homo obsoletus wird der Homo connectus nur solche Maschinen schaffen, die seine eigenen Freiheiten und Möglichkeiten vergrößern. KI-Anwendungen, die schon heute in nahezu allen Bereichen des Alltags zu finden sind, von Hausgeräten und Fitnessarmbändern bis zu Messengern und Chatbots, werden im Jahr 2050 nicht nur ubiquitär sein, sondern auch eine alternative Zukunft als Protopie ermöglichen: als progressive Utopie der konnektiven Gesellschaft in Form einer „Kann-Gesellschaft“, in der wir wieder freier und bewusster gestalten können – mithilfe intelligenter Technologien.
Die menschliche Kernkompetenz:
Fragen stellen
In dieser nächsten Gesellschaft werden wir Zufriedenheit und Glück weniger im Konsum definieren, sondern auch in der Partizipation an der Erhaltung und Gestaltung unserer Umwelt und des gesellschaftlichen Fortschritts. In der konnektiven Ökonomie kaufen wir nicht primär Produkte und Dienstleistungen, sondern investieren zunehmend in Beziehungen und Geschichten. Nicht materielle Bedürfnisbefriedigung steht im Mittelpunkt, sondern die Entwicklung unserer Talente und Ideen. Berufe, die zwischen Dingen und Menschen – und zwischen Menschen und Dingen – vermitteln, werden als „Konnektoren“ und „Intermediäre“ die Arbeitswelt von morgen prägen.
Die Einzigartigkeit des Menschen wird dann mehr denn je in seiner Fähigkeit bestehen, Wissen in einem kritischen Prozess zu generieren und andere an diesem Prozess teilhaben zu lassen. Technologien können diese grundhumane Kompetenz fördern und erleichtern. Damit beginnt gleichsam eine neue Ära der Aufklärung. Die Skepsis gegenüber „intelligenter“ Technologie, die noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorherrschte, wird einer kritischen Neugier weichen, in der alte und neue Fragen (wieder) gestellt werden. Denn nicht zuletzt das unterscheidet den Menschen von der Maschine: die Fähigkeit, gute Fragen zu stellen.
Klare Grenzziehung zur maschinellen Entmündigung
Der Kampf zwischen liberaler Demokratie und repressivem Autoritarismus wird das 21. Jahrhundert auch technologisch prägen. Aus autoritären Systemen werden digitale Diktaturen, aus liberalen Systemen digitale Demokratien. Die offene Frage lautet: Werden sich die westlichen Gesellschaften weiter in Subkulturen und Neo-Tribes aufsplitten, hin zu einer „Wirr-Gesellschaft“, oder gelingt die Evolution in eine inklusive Wir-Gesellschaft?
Die größten ökonomischen, sozialen und politischen Zukunftsrisiken lassen sich in 3 Punkten zusammenfassen: Bildung von Datenmonopolen, Manipulation von Individuen und Missbrauch durch Regierungen. Ein gemeinsamer Nenner besteht im „Drang zur Monopolisierung“, der die Profiteure eines zügellosen, chaotischen und verklärenden Digitalismus ebenso antreibt wie autoritäre Staaten und Führer. KI wird dabei als Teil des Produkts oder Prozesses eingesetzt, etwa für Produkte und Dienstleistungen, die sich fortwährend selbst verbessern und somit neuen Akteuren den Zugang zum Markt erschweren.
Immer wichtiger wird deshalb die klare Grenzziehung zur maschinellen Entmündigung. Es braucht ein Regelwerk, das das Prinzip der Neutralität durchsetzt und gefährlich manipulative oder kriminelle Assistenten aus dem Spiel nimmt. Ein demokratischer Rechtsstaat, der KI nicht dazu nutzt, seine Bürgerinnen und Bürger zu überwachen und zu steuern, ist dazu besser in der Lage als eine digitale Diktatur oder ein digital ungezügelter Kapitalismus.
Eine zweite Aufklärung
Die Alternative zum globalen konnektiven Chaos der Einzelstaaten und Neo-Tribes sowie dem digitalen Überwachungskapitalismus besteht in der Gestaltung einer neuen Aufklärung. Konkret geht es um vier Pfeiler:
- Social Media wird wieder wirklich soziale Funktionen übernehmen.
- Demokratische Intelligenz und digitale Souveränität gehen Hand in Hand.
- Statt Maschinen zu überschätzen und Menschen zu unterschätzen, agieren Mensch und Maschine klug miteinander.
- KI-Tools der direkten Vernetzung erleichtern und fördern die gesellschaftliche und politische Mobilisierung.
Voraussetzung dafür ist die Erkenntnis, dass nur Menschen eine emotionale, wertebasierte Intelligenz haben. Das bedeutet auch: Dort, wo eine hohe emotionale Intelligenz gefordert ist, sollte der Einsatz von KI unterbleiben. Damit würde die Ära eines neuen Humanismus anbrechen, in der wir unsere menschlichen Talente und Kompetenzen mit Hilfe von Technologien neu und besser entfalten können.
Diese konnektive Gesellschaft würde allen Mitgliedern ermöglichen, ein gesünderes, wohlhabenderes und glücklicheres Leben zu führen. Vielleicht wird die Geschichtsschreibung später von einer „zweiten Aufklärung“ sprechen: Die Maschinen haben uns nicht entmenschlicht – sondern uns bewusst gemacht, was uns als Menschen eigentlich ausmacht und antreibt.
Den gesamten ThinkTank-Report „Konnektivität“ der Konrad-Adentauer-Stiftung finden Sie im Web unter