Spezielle Patienten – gelassen bleiben!

Prof. Dr. Peter Kropp, Universitätsmedizin Rostock

Abweichungen vom Normalen fordern Aufmerksamkeit, Entscheidungskompetenz und Abkehr von der Routine. Gerade Letzteres bremst den gut eingespielten Praxisablauf und führt gelegentlich zu Störungen, Ärger und Wartezeiten. Grund hierfür können „spezielle Patienten“ sein, bei denen unsere Routine nicht gut gelingt. Wie gehen wir damit um? 

Zunächst einmal sollte betont werden, dass jeder Patient einzigartig ist. Dies lernt man gerade in der Routine kennen. Hilfreich ist dabei der Aufbau einer Beziehung, mit der mit dieser Einzigartigkeit gearbeitet werden kann. Mit dieser Beziehung kann ein Arbeitsbündnis hergestellt werden, welches durch die Behandlung trägt.

Wie lässt sich dies konkret bei „speziellen Patienten“ bewerkstelligen? Dazu greife ich zwei Bereiche heraus – Patienten mit einem ADHS und Patienten mit einer Kiefer-Mund-Gaumenspalte. 

Kinder mit einem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) wirken neben einer sehr kurzen Aufmerksamkeitsspanne unsicher, verletzlich und wenig kooperativ. Sie wollen auch während der Abformungszeit beschäftigt sein, sind insgesamt unruhig und haben einen ausgeprägten Spieltrieb, der auch vor den Behandlungsinstrumenten nicht Halt macht. Mit einer Häufigkeit von über 7% in der Gesamtbevölkerung ist die Wahrscheinlichkeit hoch, öfter ein Kind mit einem ADHS zu behandeln. In einer indischen Studie konnte gezeigt werden, dass nicht einmal ein Drittel der Zahnmedizinstudenten die Symptome eines ADHS kennt (Chopra et al. 2022). Aufklärungs- und Fortbildungsbedarf über die Symptome des ADHS ist also dringend nötig. Bekannt ist auch, dass Kinder mit einem ADHS eine schlechtere Zahngesundheit aufweisen im Vergleich zu gesunden Kontrollen (Drummond et al. 2022). Sie kommen demnach in jüngerem Alter und öfter in die Zahnarztpraxis und in die kieferorthopädische Behandlung. 

Wie kann mit ADHS-Kindern umgegangen werden? Zunächst sollte bekannt sein, dass diese Kinder ängstlicher sind, was man dem Bewegungsdrang erstmal nicht ansieht. Außerdem ist das wenig kooperative Verhalten nicht als Provokation gegen zahnärztliches oder kieferorthopädisches Handeln zu verstehen, sondern es ist das Symptom der Erkrankung. Deswegen sind klare Anweisungen hilfreich und wirken dann am besten, wenn zunächst mit dem Kind (die Eltern lassen wir außen vor!) ein Arbeitsbündnis hergestellt wird. Dies könnte darin bestehen, dass alle Behandlungsschritte erklärt werden und mit dem Kind eine partizipative Entscheidungsfindung (shared decision making, SDM) hergestellt wird. Dazu erklärt die behandelnde Person die einzelnen Schritte und vereinbart mit dem Kind, wie es sich zur Durchführung der Behandlung optimal verhalten kann. Beispielsweise sollte sich das Kind für 5 Minuten während der Abformung ruhig verhalten. Dies gelingt auch bei Kindern mit ADHS-Diagnosen. Hilfreich sind dabei klare Absprachen („lass uns gemeinsam einen Abdruck Deiner Zähne machen – das klappt umso besser, je ruhiger du in den nächsten Minuten bist“). Dazu kann eine Stoppuhr mitlaufen oder es wird eine Belohnung vereinbart (Bedienen des Behandlungsstuhls). Wenn das Kind dazu nicht bereit ist, könnte man es kurz ins Wartezimmer schicken („komm wieder, wenn Du bereit bist“). Dies sollte bitte nicht als Strafe verstanden werden, sondern eher als Chance des Kindes, eine eigene Entscheidung in mehr Ruhe zu treffen. Erfahrungsgemäß sind Kinder nach kurzen Pausen wieder ansprechbarer, machen besser mit und behalten ihre Angstfreiheit. Von besonderer Bedeutung ist das Arbeitsbündnis zwischen Behandler und dem Kind, was auch bei jungen Kindern gelingt.

Die Kiefer-Mund-Gaumenspalte (oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalte) ist eine häufig vorkommende Fehlbildung. Meistens sehen sie die Zahnärztin oder der Zahnarzt erst, wenn Lippen- und Gaumenspalte operativ verschlossen sind. Aber gerade dann sind kieferorthopädische Maßnahmen gefragt. Wie geht man mit äußerlich erkennbaren Anomalien um? Hilfreich ist immer ein unerschrockenes und professionelles Arbeiten. Kinder, aber auch betroffene Erwachsene sind es leider gewöhnt, dass das Gesicht anders als üblich aussieht. So zeigen Studien, dass Kinder mit einer Kiefer-Mund-Gaumenspalte etwas ängstlicher sind als unbetroffene Gleichaltrige (Branson et al. 2022) und sich aus der Gruppe der Gleichaltrigen eher zurückziehen (Martinez et al. 2022). Wie wohltuend ist es dann, wenn diese Anomalie als normal angesehen wird und die Patientin oder der Patient wohltuend unangestrengt behandelt wird. Hilfreich sind bei Kindern dabei immer kleine lobende und freundliche Kommentare, wenn sie Kind mitmachen („toll“, „gut so“, „klasse“). In der Tabelle werden einige wenige Möglichkeiten zum Reagieren der Behandelnden zusammengestellt.

Vielleicht sind „spezielle Patienten“ nur deswegen speziell, weil sie unsere Routine durchbrechen und so mehr Zuwendung abfordern. Deswegen ist Gelassenheit angesagt. Ein Versuch kann die Situation entspannen!

Hilfreiche Reaktionen der Behandlerin oder des Behandlers:


 

Prof. Dr. Peter Kropp

Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Sozio­logie, Universitätsmedizin Rostock, Gehlsheimer Straße 20, 18147 Rostock

www.imp.med.uni-rostock.de

 

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