Sprachentwicklung bei Kindern mit Lippen-, Kiefer-, Gaumen-, Segelspalten (LKGS)
Etwa jedes 700-ste Neugeborene ist von Lippen-, Kiefer-, Gaumen- oder Segelspalten (LKGS) betroffen und gilt somit als häufigste Fehlbildung im Kopf- und Gesichtsbereich. Im Zusammenhang mit den orofazialen und funktionellen Möglichkeiten und Grenzen stellt sich daher im Zeitraum vor und nach dem Spaltverschluss bis zum Vorschuleintritt die Frage nach allfälligen beeinträchtigenden Faktoren in der Sprach- und Sprechentwicklung. Bei Kindern mit LKGS wurde der Zusammenhang zwischen einer Spaltbildung und der damit einhergehenden Sprachentwicklung noch wenig erforscht, bisherige Untersuchungen ergaben heterogene Studienergebnisse. Die nun vorliegende Bachelorarbeit (Ritter 2021) untersuchte diese Thematik anhand einer Stichprobe von 30 Kindern im Alter zwischen 2;6 und 2;11 Jahren. Diese wurden in Kooperation des Universitätsspitals Basel, LKG-Zentrum mit der Logopädie des Universitätskinderspitals Basel mittels SETK-2 (Grimm et al. 2016), Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder, im Zeitraum von April 2018 bis August 2019 untersucht. Die Daten wurden quantitativ und qualitativ im Rahmen der Bachelorarbeit ausgewertet.
von Iris Indri, Universitäres Zentrum für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Gesichtfehlbildungen am Universitätssital Basel
Die Resultate zeigen auf, dass bei 56,3 Prozent der getesteten Kinder eine SEV auftrat. Die qualitative Auswertung innerhalb der Sprachebenen ergab insofern erstaunliche Resultate, als entgegen den Erwartungen nicht hauptsächlich die Phonetik/Phonologie, sondern vermehrt die sprachlichen Ebenen Semantik/Lexik und Morphologie/Syntax betroffen waren. Dies führte zur Annahme, dass die chirurgische Methode, basierend auf der Grundlage des einzeitigen Verschlusses mit Erhaltung des vorderen Gaumens, die phonetisch-phonologischen Störungen bei Spaltkindern zu reduzieren vermag.
1. Einleitung und Zielsetzung
„Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten sind die häufigsten angeborenen Fehlbildungen im Kiefer- und Gesichtsbereich und betreffen etwa jedes 700-ste Neugeborene. (…) Die Vereinigung der Lippen- und Gaumenhälften muss deshalb nach der Geburt durch eine Operation nachgeholt werden, um eine normale Funktion von Nase und Mund zu erlauben. Bei einseitigen Spalten geschieht dies mit einer Operation im ersten Lebensjahr. (…) Das Konzept des „einzeitigen“ Verschlusses besteht in Basel seit 1991 und wurde mehrmals nach neusten medizinischen Erkenntnissen weiterentwickelt“ (Universitätsspital Basel 2022).
Einer der wichtigsten Behandlungsschwerpunkte bei Kindern LKGS besteht im Erreichen einer möglichst altersgemässen Sprachkompetenz als Voraussetzung für spätere uneingeschränkte kommunikative und soziale Fähigkeiten. Daher wurde als Forschungsprozess im Jahr 2018 damit begonnen, die Sprachentwicklung aller Kleinkinder mit LKGS routinemässig mittels eines standardisierten Tests logopädisch zu erfassen, um bei Bedarf frühzeitig eine Behandlungsplanung einzuleiten. Die Auswertung erfolgte mittels einer Empirie orientierten Bachelorarbeit in Kooperation zwischen den Kliniken Universitätsspital Basel (USB), Universitätskinderspital beider Basel (UKBB) sowie der Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach (SHLR). Die Zielsetzung der Bachelorarbeit bestand darin, mittels dieser frühen standardisierten Abklärung allfällige Prävalenzen für Sprachentwicklungsverzögerungen (SEV) bei LKGS festzustellen. Ebenso sollte aus Sicht der Logopädie im LKG-Zentrum USB evaluiert werden, ob ein Zusammenhang zwischen der Operationsmethode und der phonetisch-phonologischen Ebene besteht.
2. Literaturrecherche
Nach Ansicht des LKG-Zentrums USB ist es erforderlich, dass sich der Fokus nebst dem frühen einzeitigen Spaltverschluss auf eine ebenso frühzeitige logopädische Erfassung und Behandlung richten soll. In diesem Kontext weisen Shaw, Semb und Lohmander et al. (2019) auf die Evidenz hin, dass das Alter der primären (Gaumen)Operation früh sein sollte, da die Möglichkeit, eine angemessene Sprache zu entwickeln, umso größer ist, je früher eine korrekte Form und Funktion generiert wird. Kinder mit einer LKGS haben oft spaltspezifische Auffälligkeiten in der Sprache und dem Sprechen. Diese Auffälligkeiten können persistieren und sich zu einer Sprachentwicklungsstörung (SES) entwickeln. Wie bei Kindern ohne Spalte kann die Sprachentwicklung auf einer oder mehreren Ebenen auffällig sein (Neumann & Meinusch 2013). Vallino et al. (2008) testeten dreijährige Kinder mit LKGS, wovon 18% eine Verzögerung in der Sprachentwicklung aufwiesen. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten Smarius et al. mit einer Quote von 21% (Smarius et al. 2020 & Vallino et al. 2008 zit. n. Hardin-Jones & Chapman 2011, 133). Andere Studien, allerdings im späteren Kindesalter, wiesen hingegen darauf hin, dass die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder mit einer Spalte annähernd gleich wie diejenigen der gleichaltrigen Kinder ohne Spalte sein können (Chapman 2011 & Collet et al. 2012).
3. Operationsmethode und Auswirkung auf die Phonetik/Phonologie
Nebst einer standardisierten logopädischen Erfassung ist auch die Operationsmethode mit Erhaltung und operativen Schonung der Gaumenschleimhaut im Bereich der papilla incisiva von grosser Bedeutung, wodurch die sensomotorischen und propriozeptiven Fähigkeiten der Zungenfunktion besser erhalten werden können und sich somit der Anteil der phonetisch-phonologischen Störungen zu verringern vermag. Eine naheliegende Erklärung liegt darin, dass aufgrund dieser Schonung die für das Schlucken und Sprechen wichtige, für die Initialzündung der benötigen motorischen Muster sensorisch freie Zone, ein physiologisches Schluckmuster und somit eine korrekte Lautbildung entlang des Gaumens ungehindert ermöglicht werden. „Voraussetzung für das funktional reguläre Bewegungsmuster in der oralen Phase des Schluckaktes ist die Fähigkeit der Zungenspitze, sich an die Papilla incisiva zu heben und – mit fliessendem Übergang – des Zungenrückens, sich an den harten Gaumen anzusaugen“ (Codoni 2019, S. 135). Damit entsteht der Brückenschlag zwischen den Primär- und Sekundärfunktionen als wichtige Basis für die spätere Sprechentwicklung:
„Sensorische und motorische Mechanismen sind für die reibungslose Abfolge differenzierter Bewegungsabläufen wie Saugen, Beissen, Schlucken, Kauen, Bewegen als Primärfunktionen und Sprechen als sekundär zu erlernende Funktion zuständig.“ (Codoni 2009, S. 26). Eine weitere Grundlage für eine möglichst ungestörte Lautrealisation bildet der ebenso frühe Gaumenverschluss, wodurch der zu erzielende velopharyngeale Abschluss optimale Voraussetzungen für eine korrekte Lautbildung durch die Fähigkeit des enoralen Druckaufbaus mit sich bringt. Nachfolgende Abbildungen (Abbildung 2 a-c) zeigen auf, wie die Gaumenschleimhaut des vorderen Gaumens operativ erhalten wird:
„(a) Vollständige einseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bei der Operation im Alter von 8 Monaten. Das palatinale Gefäßterritorium, versorgt von den Palatinalarterien (o) und der Arteria nasopalatina (NPA) () auf der gesunden Seite, verbindet (––– ) über den Alveolarkamm mit dem labiofazialen Gefäßgebiet ( ) auf beiden Seiten der Spalte. Der Schnittumriss (—) ist für einen zweischichtigen Verschluss des harten Gaumens mit einem Vomer-Umschlaglappen und zweistieligen Gaumenlappen gezeigt. Die Erhaltung der anterioren Befestigung der Gaumenlappen ermöglichte die Aufrechterhaltung der anastomosierenden Gefäßverbindung zwischen dem Gaumen und dem labiofazialen Territorium. (b) Wundzustand am Ende der Gaumenreparatur und vor der Lippenreparatur. Das Anheben der zweistieligen Lappen ohne Transposition ermöglicht einen vollständigen primären Wundverschluss in der Mittellinie und über den seitlichen chirurgischen Zugangsinzisionen. Posterior werden die beiden Arterien palatinae sowie anterior die Arteria nasopalatina und der Nervus nasopalatinus am Foramen incisivum auf der gesunden Seite erhalten. (c) Gaumenbedingungen im Alter von 2,5 Jahren. Keine Narbenbildung in der vorderen Übergangszone (weißer Kreis) um den Bereich der konservierten NPA. Das Relief der Gaumenschleimhaut (rugae palatinae und papilla incisiva) des vorderen Gaumens bleibt somit vollständig erhalten.“ (übersetzt nach Benitez et al. 2022)
Nebst der Arteria nasopalatina sind die austretenden Leitungsbahnen des N. nasopalatinus am Foramen incisivum (c) sowie deren Verlauf entlang des Oberkiefers von zentraler Bedeutung; somit können während der Schluck- und Sprechfunktion die sensorisch benötigten Rückmeldungen laufend an die jeweilige bei Artikulation notwendige Zungenposition gegeben werden, insbesondere in der Region der Papilla incisiva. Das sensible Innervationsgebiet umfasst zugleich die Gaumenschleimhaut, Oberlippe, Wangen und das Zahnfleisch.
4. Fragestellung
Wie viele Kinder der Stichprobe zwischen 2;6 und 2;11 Jahren mit LKGS und deren Unterformen weisen eine SEV auf und welche linguistischen Ebenen (Phonetik- Phonologie, Semantik-Lexikon, Morphologie-Syntax) sind betroffen? (Ritter 2021)
5. Hypothesen
5.1. Kinder mit LKGS haben eine höhere Prävalenz für eine SEV als bisher angenommen.
5.2. Der einzeitige Verschluss mit der operativen Schonung der Gaumenschleimhaut im Bereich der papilla incisiva reduziert den Anteil der phonetisch-phonologischen Störungen.
6. Methodik
6.1. Studien Design, Setting, Patienten
Es wurde eine retrospektive Cohortenstudie bei Kindern mit LKGS im dritten Lebensjahr durchgeführt. Die Daten zur medizinisch-therapeutischen Diagnostik wurden im Zeitraum von April 2018 bis August 2019 durch das USB erhoben, die Testungen fanden durch die Logopädinnen des UKBB im Rahmen der standardisierten Sprachentwicklungsabklärung bei LKGS statt. Die Auswertung erfolgte durch Frau Ritter SHLR.
Alle Eltern und Erziehungsberechtigten haben eine Einverständniserklärung für die Herausgabe von medizinischen Informationen zu wissenschaftlichen Zwecken unterschrieben. Zu den Inhalten der Studie liegt kein Interessenkonflikt vor. Die Studie wurde nach Genehmigung durch die Ethikkommission der Nordwest- und Zentralschweiz (EKNZ; Project-ID 2020-01688, Projekttitel: Standardized speech and language development assessment in cleft lip and palate patients) durchgeführt. Syndromal bedingte Spalten wurden aus dieser Studie ausgeschlossen. Aus der Literatur geht in diesem Zusammenhang hervor, dass diese meist einen negative Auswirkungen auf die Sprachentwicklung haben (Meyer et al. 2012).
6.2. Messmethode
Für die Untersuchung wurde der SETK-2, Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder, eingesetzt (Grimm et al. 2016). Der Test umfasst folgende Bereiche:
Verstehen I: Wörter
Verstehen II: Sätze
Produktion I: Wörter
Produktion II: Sätze
Die Daten wurden quantitativ und qualitativ ausgewertet. Für die quantitative Auswertung wurde zuerst definiert, ab welchem T-Wert ein Kind im getesteten Bereich als auffällig galt (T-Wert < 40). Für die qualitative Auswertung wurde analysiert, welche linguistischen Ebenen auffällig waren. Eine weitere Differenzierung der qualitativen Auswertung bestand darin, herauszufiltern, welche Beziehung zwischen den einzelnen Spaltformen und einer SEV bestehen können.
7. Resultate
Es konnten im Zeitraum von April 2018 bis August 2019 dreissig Kinder im Alter von 2;6 bis 2;11 Jahren identifiziert werden, welche alle die Voraussetzungen zur Durchführung dieser Studie erfüllten (Diagnose, passende Altersspanne, keine stattfindende oder stattgefundene logopädische Behandlung, Forschungskonsent). Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Abklärungen betrug 2;8 Jahre.
7.1. Verstehen I: Wörter (SETK-2)
Dieser Untertest untersuchte die rezeptive Seite der semantisch-lexikalischen Ebene. Die Streuung ergab T-Werte zwischen 23 und 69. Das arithmetische Mittel des T-Wertes betrug 45.27 und der Median lag bei 41.5. 49.9 Prozent der Kinder zeigten Leistungen, die unterhalb des Normbereichs liegen. Die Standardabweichung betrug 14.9.
7.2. Verstehen II: Sätze (SETK-2)
Dieser Untertest untersuchte die rezeptiven morphologisch-syntaktischen Fähigkeiten der Kinder. Die Streuung ergab T-Werte zwischen 22 und 78. Das arithmetische Mittel des T-Wertes betrug 49.9 bei einem Median von 49. 25 Prozent der Stichprobe wiesen unterdurchschnittliche Fähigkeiten bei den rezeptiven morphologisch-syntaktischen Fähigkeiten. Die Standardabweichung betrug 14.4.
7.3. Produktion I: Wörter (SETK-2)
Dieser Untertest untersuchte die semantisch-lexikalischen Fähigkeiten in der Sprachproduktion. Die Streuung ergab T-Werte zwischen 23 und 83. Das arithmetische Mittel aus diesem Subtest betrug 43 bei einem Median von 37. Bei 58 Prozent der Kinder lagen die produktiven semantisch-lexikalischen Leistungen unter dem Normbereich. Die Standardabweichung betrug 17.5.
7.4. Produktion II: Sätze (SETK-2)
Dieser Untertest untersuchte die semantisch-lexikalischen Fähigkeiten in der Sprachproduktion und konnte am wenigsten oft durchgeführt werden. Die Streuung ergab T-Werte zwischen 23 und 45. Das arithmetische Mittel lag bei 31.4 und der Median bei 28.5. 62.5 Prozent der Kinder erzielten unterdurchschnittliche Normwerte. Die Standardabweichung betrug 9.4.
7.5. Phonetik-Phonologie
Die Klassifizierung der Prozesse erfolgte anhand des Protokollbogens aus der „Psycholinguistischen Analyse kindlicher Aussprachestörungen PLAKSS-II“ (Fox- Boyer 2014) und der Prozessbezeichnung von Thiel et al. (2017). In der nachfolgenden Grafik ist ersichtlich, welche Prozesse in welcher Häufigkeit bei sprachlich verzögerten Kindern auftreten.
Im Bereich der Prozessrealisierungen traten insgesamt Lautauslassungen mit 47.1 % der Kinder am häufigsten auf: Betroffene Laute waren /sch/, /k/ oder /r/. Dahinter folgten Rückverlagerungen mit 35.5 % wie /dg/ oder /bg/ und Vorverlagerungen mit 29.4 % wie /gd/ oder /kt/. Auslassungen von Plosiven und Frikativentraten traten mit 23.1% auf, Plosivierungen ebenfalls mit 23.1 %; phonetische Auffälligkeiten mit 23.6% und Auslassungs- und Ersetzungsprozesse mit 23.1%. Alle anderen Prozesse kamen jeweils bei einem oder zwei Kindern vor. Einige phonetisch- phonologischen Auffälligkeiten können in diesem Alter noch als physiologisch betrachtet werden.
Ein über die ganze Studie herausragendes Merkmal war, dass die phonetisch- phonologische Ebene entgegen den Erwartungen am wenigsten betroffen war (vgl. Hypothese 5.2.). Dies ist insofern bemerkenswert, als bei Spaltkindern mit der veränderten Anatomie und Morphologie ebendieser Bereich zur Annahme führt, am ehesten betroffen zu sein.
7.6. Zusammenfassung der Resultate
7.6.1. Quantitative Auswertung: Vorkommen einer SEV bei LKGS
In der untersuchten Cohorte wiesen 17 von 30 Kindern mit einer Spalte (56.3 %) zugleich eine SEV auf. Im Vergleich zur Literatur handelt es sich hierbei um einen markant höheren Prozentsatz.
7.6.2. Qualitative Auswertung
Bei 88.3% der Kinder war die semantisch-lexikalische Ebene am ehesten betroffen, gefolgt von 82.4% auf der morphologisch-syntaktischen und 64.7% der phonetisch- phonologischen Ebene.
7.6.3. Beziehungsform Sprachentwicklungsverzögerung und Spaltform
Die Analyse der Spaltformen zeigt auf, dass Kinder mit einer durchgehenden Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalte mit 47.1 % den höchsten Prozentsatz einer SEV aufweisen. Bei Hart- und Weichgaumenspalten tritt diese bei 29.4 % der Kinder auf, währenddessen bei isolierten Weichgaumenspalten der Prozentsatz bei 5.9 liegt.
Derselbe Wert mit 5.9 % erscheint bei Kindern mit Lippen- und Weichgaumenspalte, Lippen-Kieferspalten oder Lippenspalten. Diese Erhebung widerspiegelt exakt den Schweregrad der Fehlbildung mit Einfluss auf das Sprechen:
8. Diskussion
Im Vergleich zur Literatur mit Indikatoren zwischen 18 % (Vallino 2008) und 21 % (Smarius 2020) geht aus dieser Bachelorarbeit mit 56.3 % die klare Tendenz hervor, dass Kinder mit LKGS eine höhere Prävalenz für eine SEV aufweisen als bisher angenommen (Hypothese 5.1.). Allerdings muss eingeräumt werden, dass die sprachlichen Leistungen dieser Kinder in allen vier Untertests grossen Schwankungen unterlagen.
Am häufigsten betroffen waren die Ebenen Semantik-Lexik gefolgt von Morphologie- Syntax. Im Bereich der Phonetik-Phonologie zeigten erstaunlicherweise die wenigsten Kinder unterdurchschnittliche Leistungen.
Aus den vorliegenden Resultaten kann die Hypothese (5.2.) gestützt werden, dass die Zusammenhänge zwischen dem spaltchirurgischen Behandlungsprotokoll und den daraus resultierenden verbesserten Voraussetzungen für die logopädische Behandlung als zukunftsweisende Tendenz betrachtet werden sollen.
Ergänzende Interpretationen für die höhere Prozentzahl der Bereiche Syntax/Morphologie und Semantik/Lexik könnten durchaus auf Faktoren wie demographische und soziokulturelle Bedingungen oder mangelhafte sprachliche Kompetenzorientierung beruhen.
Weiterhin ist die Studie in ihrer Aussage durch die Patientenzahl, die kurze Nachbeobachtungszeit und den retrospektiven Charakter teilweise nur begrenzt aussagekräftig. Dennoch können standardisierte und validierte Daten dieses Behandlungskonzeptes zur SEV bei Spaltkindern im dritten Lebensjahr aufgezeigt werden, welche mit anderen Cohorten Vergleiche ermöglichen können. Die Daten sind auch Grundlage, um zu untersuchen, ob und wie sich die SEV im Kollektiv mit Auffälligkeiten zu einem späteren Zeitpunkt präsentieren, was eindeutig einen weiteren Forschungsbedarf impliziert.
Insgesamt bestätigen die Resultate indessen, dass eine frühe standardisierte logopädische Standortbestimmung in jedem LKG-Zentrum als präventive Maßnahme durchgeführt werden sollte. Ebenso wichtig ist es, bereits postnatal sowie prä- und postoperativ mit der Therapieausrichtung der chirurgisch- funktionsorientierten Logopädie zu behandeln, um sensomotorische Muster für das Schlucken und die spätere Sprechentwicklung zu etablieren und damit die Basisfunktionen in frühe Bahnen zu lenken. Von ebenso großer Bedeutung ist der regelmäßige fachbezogene Dialog zwischen den klinischen Logopäden und der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie sowie dem erweiterten Kernteam mit Kieferorthopädie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und bei Bedarf Stillberatung, um wichtige Absprachen interdisziplinär abstimmen und die Behandlungsplanung früh aufgleisen zu können.
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