Traumaprophylaxe

Sportmundschutz und Kieferorthopädie

Die Prävalenz von Unfällen mit Zahnbeteiligung liegt laut einer aktuellen Metaanalyse weltweit zwischen 15 und 30 % (S. Petti et al. 2018). Menschen mit einem vergrößerten Overjet sind besonders gefährdet. Im Milchgebiss ist bereits ein Overjet von ≥ 3 mm mit einem odds ratio für Trauma von 3,4 (95 % CI, 1,4-8,4) verbunden. Im Wechsel- und bleibenden Gebiss ist ein Overjet von >5 mm mit einem um Faktor 2,4 (95 % CI, 1,3-4,4) erhöhten Traumarisiko assoziiert (G. P. Arraj et al. 2019).

Kieferorthopädische Therapie mit Einstellung in eine neutrale Verzahnung bei physiologischem Overjet ist somit Traumaprophylaxe. Zahnstellungskorrekturen allein sind jedoch kein ausreichender Schutz vor Zahnverletzungen. Einerseits werden Distalbisse in der Regel kieferorthopädisch erst korrigiert, nachdem der vergrößerte Overjet schon jahrelang bestanden hat. Andererseits ist die Oberkieferfront auch in einem eugnathen Gebiss durch die Arme des Gegners (z. B. beim Handball, Basketball oder Wasserball), Stürze beim Mountainbiking oder Puck/Ball/Schläger beim (Eis-)Hockey, Lacrosse, Baseball gefährdet.

Die Häufigkeit von Zahnunfällen nimmt zu, da immer mehr Menschen Risikosportarten betreiben, aber auch die Gewaltbereitschaft außerhalb des Sports steigt und zudem darf häusliche Gewalt als Ursache für (dentale) Verletzungen nicht übersehen werden (U. Glendor 2008). Die Leitlinie der DGZMK zur Therapie des dentalen Traumas beschreibt, dass vollständig ausgeschlagene Zähne bei günstiger Lagerung und noch nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum erfolgreich vital replantiert werden können. Die Mehrzahl der dentalen Traumata führt jedoch nicht zu einer restitutio ad integrum, sondern oftmals zu lebenslangen erheblichen Folgekosten und Funktionseinschränkungen. Umso wichtiger ist es, solche Verletzungen zu verhindern.

Das Tragen eines Sportmundschutzes reduziert das Risiko dentaler Verletzungen um ein Vielfaches (L. L. Fernandes 2019). Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Sportmundschutzen bezüglich Tragekomfort und Schutzwirkung. Darüber hinaus können die Eigenschaften einer Sportperformance-Schiene (siehe Sei­te 16) mit der Schutzwirkung bei individuell hergestellten Sportmundschutzen kombiniert werden (D. Ohlendorf et al. 2011). Kieferorthopädische Behandlungen dauern bekanntlich Monate und Jahre. In dieser Zeit müssen wir Kieferorthopäden unseren Sport treibenden Patienten einen adäquaten Schutz vor Unfällen anbieten, der die kieferorthopädische Therapie nicht behindert und nicht nur die Zähne schützt, sondern auch die umgebenden Weichteile bei Multibracket-Apparaturen vor Stanzverletzungen durch Brackets bewahrt.

In Abhängigkeit vom betriebenen Sport, dem Alter, der Größe des Mundes, der Dysgnathie, dem Ausmaß der Zahnbewegung, der kieferorthopädischen Apparatur und den finanziellen Möglichkeiten das individuell beste Sportmundschutzdesign zu finden, erfordert Wissen und Erfahrung. Dass nicht einmal jeder zweite Befragte deutsche Hockey-Bundesliga-Spieler seinen Zahnarzt als die kompetenteste Informationsquelle zum Thema Sportmundschutz angibt, zeigt, dass es hier noch deutliche Defizite gibt (P.-G. Jost-Brinkmann et al. 2000), obschon die Stiftung Warentest bereits 2003 unter dem Titel „Schutz mit Biss“ die Öffentlichkeit auf die Bedeutung geeigneter Sportmundschutze hingewiesen hat (Stiftung Warentest 6/2003). Dies betrifft nicht nur die zahnärztlich-kieferorthopädische Seite, sondern auch die Sportler (= unsere Patienten), die ihr Risiko oft falsch einschätzen und bezüglich der verschiedenen Mundschutzvarianten nicht gut informiert sind. Daher gehört die Frage nach dem betriebenen Sport in jeden Anamnesebogen. Nur mit dieser Information können Sie gezielt informieren.

An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass es in Abhängigkeit von Alter und Gebisszustand bei 0,0024 – 5 % der Eingriffe unter Intubationsnarkose zu Zahnverletzungen kommt (J. E. Utting et al. 1979, L. P. Wang et al. 1992). Wer einen sicher sitzenden Sportmundschutz hat, ist daher gut beraten, bei geplanten Eingriffen mit dem Anästhesisten über dessen Verwendung bei der Operation zu sprechen.


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