Wo man singt

Wo man singt …

Prof. Dr. Peter Kropp,
Universitätsmedizin Rostock

Wenn wir Musik hören, werden körpereigene Endorphine ausgeschüttet, weswegen man sich beim Hören richtig wohl fühlen kann. Dabei weiß man erst seit wenigen Jahren, dass das Hören von Musik sehr komplexe Funktionen in weiten Bereichen des Hirns erfordert. So wird die Musik zunächst vorbewusst im Hirnstamm verarbeitet und erst viel später wird die Musik kortikal wahrgenommen. Wir hören zunächst die Musik zwar, aber erst nach Sekundenbruchteilen nehmen wir sie auch wahr. Das ist schwer zu verstehen, aber wie jede Empfindung wird Musik zuerst analysiert, es werden die passenden Emotionen wachgerufen und erst dann erkennt man die Melodie. Damit kann erklärt werden, warum durch Musik alle uns bekannten Grundemotionen hervorgerufen werden können, also Freude, Überraschung, aber auch Angst, Wut, Ekel und Trauer (Kölsch 2003). Das ist recht kurios, zeigt es doch, dass die Emotion einen leichten zeitlichen Vorsprung gegenüber der Kognition, also der bewussten Bewertung hat. Das Erzeugen von Emotionen und die Erkennung als Melodie erfordert dabei aktive Gedächtnisstrukturen. Das Hören von Musik wiederum bewirkt eine Synchronisation von Nervenzell-Verbänden. Das ist gut, weil damit das Wechselspiel zwischen neuronaler Erregung und Entspannung angeregt wird. Musik-Hören fördert also die Gedächtnisbildung. Und das sehr früh: so kann beispielsweise ein sechs Monate alter Säugling schon zwischen harmonischen und unharmonischen Dreiklängen unterscheiden (Altenmüller 2007).

Wenn man Musik hört, werden Regionen im Hirn aktiviert, die auch beim Singen aktiv sind; mit dem Unterschied, dass tatsächlich nicht gesungen wird. Dies bezieht sich beispielsweise auf die Repräsentation der Larynx im Rolandischen Operculum. Dazu gibt es eine Parallele: schon das Beobachten einer Handlung führt zur Aktivierung motorischer Areale; Ähnliches kann beim Hören von Musik in der Bildgebung beobachtet werden: Das Hirn singt also mit. Damit kann angenommen werden, dass aktives Singen und passives Zuhören die gleichen Strukturen aktiviert und damit eher zu positiven Emotionen führt. Es ist nicht entscheidend, ob man Mozart oder Deep Purple hört oder singt; wichtig ist dass das Hirn angeregt und in einen positiven Zustand versetzt wird.

… da lass dich ruhig nieder …

Musik – aktiv oder passiv genossen – löst somit sehr positive Effekte im Kopf aus. Oft wird ein „wohliger Schauer“ berichtet, den man empfindet, wenn schöne Musik wahrgenommen wird. Dies ist ein Effekt der Ausschüttung körpereigener Endorphine und man fühlt sich gut dabei. Deswegen kann mit wissenschaftlicher Begründung ein emotionales Fitnessprogramm darin bestehen, täglich ein paar Lieder zu singen. So werden nicht nur positive Emotionen frei, sondern das Singen (aber auch schon das Hören guter Musik) vermindert den Blutdruck, reduziert Stressreaktionen, fördert Entspannung und Lebensqualität und bessert die Immunabwehr.

… böse Menschen kennen keine Lieder

Diese unmittelbare Verbindung zwischen Musik und Emotion verstärkt die zwischenmenschliche Kommunikation und fördert die Verträglichkeit zwischen den Menschen. Dies kann beim Singen im Chor beobachtet werden und fördert das Ertragen schwieriger beruflicher Aufgaben, wie es beispielsweise bei Neurologen und Psychotherapeuten mit Chorsingen gezeigt werden konnte (Sokolow 2018). Das Potential von Musik kann auch bei der Zahnbehandlung eingesetzt werden. Leise Hintergrundmusik (aber wirklich ganz leise!) fördert die Entspannung des Patienten und bewirkt eine höhere Schmerzschwelle bei entsprechenden Eingriffen am Zahn.

Musik in der Zahnmedizin – warum nicht?


 

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Literaturnachweise: 

Altenmüller E (2007). Musikphysiologie und Musikermedizin 14. Jg., Nr. 2 & 3: 40-50.

Kölsch S, Fritz T (2003). Untersuchung von Emotion mit Musik: eine funktionell bildgebende Studie.  Sprache · Stimme · Gehör 2003; 27(2): 62-65.

Sokolow A (2018). Psychologen singen gegen den eigenen Stress an. Ärztezeitung. https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Psychologen-singen-gegen-den-eigenen-Stress-an-231518.html (Abruf: 30.03.2022)