Die Zeiten von Standardbehandlungen sind vorbei
Auf ein Wort mit … Sven Gabor Jánszky
Sven Gabor Jánszky
Wenn sich jemand mit Zukunftsaussichten auskennt, dann er: Sven Gabor Jánszky (Jahrgang 1973) ist Zukunftsforscher und Chairman des Zukunftsforschungsinstituts 2b Ahead ThinkTank. Die Studien und Trendanalysen seines Instituts zu den Lebens-, Arbeits- und Konsumwelten der Zukunft und seine Strategieempfehlungen zu Geschäftsmodellen der Zukunft bilden die Basis für die Zukunftsstrategien vieler Unternehmen. Sein aktuelles Trendbuch „2030 – Wieviel Mensch verträgt die Zukunft“ beschreibt das Leben in Deutschland in den kommenden Jahren.
Herr Janszky, Sie haben ein Zukunftsinstitut gegründet und bezeichnen sich selbst als Zukunftsforscher. Was dürfen wir denn in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) in den kommenden zehn Jahren erwarten?
Die kommenden zehn Jahre werden einen sehr entscheidenden Entwicklungsschritt in der KI darstellen – insbesondere auch im Bereich Medizin. KI ist eine computerbasierte Technologie. Und hier werden wir erleben, dass in den kommenden Jahren Quantencomputer der Standard werden und flächendeckend genutzt werden. Diese Computer sind hunderttausendmal besser in der Simulation und Prognose als heutige Geräte. Die Konsequenz: Predictive Medicine – also eine prognostizierende Medizin.
Was bedeutet das genau?
Die KI folgt drei Prinzipien. Erstens wird eine Unmenge an Daten erhoben und gemessen. Zweitens: Alles was man messen kann, kann man prognostizieren. Und drittens: Alles, was man prognostizieren kann, kann man verbessern. Auf die Zahnmedizin übersetzt, bedeutet das beispielsweise, dass wir in naher Zukunft täglich mit entsprechender Technik Daten unserer Zähne und des Mundes messen werden. Daraus lässt sich ablesen, wo es wann ein Problem geben wird.
Wenn sich die Praxen früh genug darauf einstellen, werden Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner künftig täglich Daten aus meinem Mund auswerten können. Nicht nur einmal pro Jahr, wenn ich meinen Pflichttermin wahrnehme. Dazu muss sich die Branche umstellen. Aktuell schaut der Arzt/die Ärztin in den Mund und behandelt das, was er oder sie in diesem Moment sieht. Mithilfe der KI können Probleme, Krankheiten, Infektionen wesentlich früher oder präventiv behandelt werden. Das ist aber nur der erste Schritt.
Wie geht es dann weiter?
Zunächst ist es genau das, was KI macht, nämlich aus Daten Prognosen erstellen. Die Technik sagt mir dann zum Beispiel „Janszky, an dem und dem Zahn hast du spätestens in drei Monaten Schmerzen, also mach bitte das und das“. Durch Echtzeitdatenmessung wird KI ein Prognosesystem und wenn Medizinerinnen und Mediziner das einsetzten, verändert sich ihre Arbeit. Der zweite Schritt ist: Wenn ich ein Prognosesystem habe, werden daraus adaptive Services und Produkte. Das bedeutet, das was ein Zahnarzt tut, das Medikament, das er verschreibt, wird auf das Individuum und die aktuelle Situation angepasst – auf Basis der Daten. Sprich, die Zeiten von Standardbehandlungen sind durch diese Technologie vorbei. Dabei spielen auch die Fortschritte in der Genetik eine entscheidende Rolle. KI kann mir dann exakt sagen, welches Medikament in welcher Dosierung sich wie auf meine individuelle Genetik auswirkt. Wir sprechen da auch von einem Genome based Lifestyle. Also ein Lebensstil auf Basis meiner Genetik, meiner DNA.
Sie klingen nicht so, als wäre damit Schluss.
Gibt es einen dritten Schritt?
Ja, den gibt es. Wir sprechen hier in unseren Forschungen von KI als decision making AI. Wir werden künftig der KI viele unserer Entscheidungen überlassen. Warum? Ganz einfach, weil die Künstliche Intelligenz bessere Entscheidungen trifft als der Mensch. Ein Beispiel: Auswertung von Röntgenbildern. Es ist bereits heute so, dass KI aufkommenden Lungenkrebs auf Röntgenbildern zwei Jahre früher und 50 Prozent genauer erkennt als die besten Radiologen der Welt. Die KI hat schlicht die besseren Augen, während das menschliche Auge Limits hat.
Also ist die Zeit ist bald vorbei, wo sich meine Kieferorthopädin oder mein Zahnarzt das Röntgenbild von meinem Kiefer anschaut?
Hoffentlich. Weil sie sehen viel zu wenig. Die KI wird das Bild auswerten und wird dann auch entscheiden, welche Behandlungsform die beste für Sie ist. Wir werden in Zukunft Entscheidungen an die Künstliche Intelligenz auslagern, weil die KI einfach mehr Daten kennt.
Macht Künstliche Intelligenz Medizinerinnen
und Mediziner obsolet?
Ich will niemandem zu nahe treten, aber tatsächlich macht sie einen großen Bereich der heutigen Medizin obsolet. Letztendlich wird die KI alles, was mit Erfahrung und Wissen zu tun hat, in naher Zukunft besser können. Sie kann eine bessere Diagnose treffen und sie kann eine bessere Therapie vorschlagen. Während eine Medizinerin/ein Mediziner nur aus dem eigenen Erfahrungsschatz heraus beurteilen kann, kann die KI auf den gesamten Erfahrungsschatz der Welt zugreifen. Das passiert nicht übermorgen, aber in acht bis zehn Jahren wird die KI immer eine bessere Entscheidung treffen. Jetzt kommt das große Aber…
Ich hatte gehofft, dass da noch ein „Aber“ kommt.
Eine KI kann Menschen nicht besser begleiten. Nehmen Sie mich als Zukunftsforscher. In wenigen Jahren wird es KI geben, die wesentlich besser als ich mögliche Zukunftsprognosen entwirft. Das ist Fakt. Was mache ich dann? Sie sehen mich das mit einem Lächeln sagen, weil ich bei uns sehe, was da passiert. Wir Zukunftsforscher sind schon in den letzten Jahren immer mehr von Experten zu Coaches geworden. Also von Menschen, die Wissen haben und das verkaufen zu Personen, die andere Menschen und Unternehmen begleiten, motivieren, bei der Hand nehmen. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, genau das Gleiche machen Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner in Zukunft. Die werden Gesundheitscoaches und begleiten ihre Patienten.
Das wird nicht allen gefallen.
Ich finde das sehr gut. Auf die tollen Möglichkeiten der Technologie setzten wir das Menschliche oben drauf. Die KI kann sich zwar Ziele setzten aber die kann sich keinen Sinn geben. KI kann auch keine Verantwortung übernehmen, kann nicht mutig sein, keine Gefühle empfinden. All das, was menschliche Identität ausmacht, kann KI nicht. Und genau das ist die Zukunft von Coaches, egal ob in der Finanzbranche oder der Medizin.
Sie haben bereits angesprochen, dass wir KI mit einer Unmenge an Daten füttern müssen. Ist das Thema Datenschutz eine Hürde für diese Entwicklung?
Datenschutz ist eine Hürde, aber nicht für das Eintreten der Dinge, die ich anfangs beschrieben habe. Datenschutz ist immer ein Problem für die etablierten Anbieter im Markt. Weil die denken, Datenschutz würde alle in der Welt hindern, diese Technologie einzusetzen. Das ist nicht richtig. Start-Ups finden Mittel und Wege, mit den Datenschutzregelungen souverän umzugehen. Das geht. Zum Beispiel indem man die Kundinnen und Kunden eben zustimmen lässt. Deshalb ja, durch entsprechende Regeln, die in etablierten Unternehmen vorherrschen und auch durch Vorbehalte in den Köpfen der Entscheider wird Innovation verhindert, aber eben nicht das generelle Eintreten von Innovation. Das lässt sich auch auf den medizinischen Bereich übertragen. Möglichweise glauben einige Praxen und Kliniken wegen der bestehenden Datenschutzgesetze sei dieses oder jenes nicht möglich. Und dann wird ein Start-Up kommen und baut eine Zahnbürste mit Kamera und die Kunden machen zwei Kreuze und stimmen zu, dass die Daten ausgewertet werden und plötzlich hat der Mensch einen Nutzen. Für mich als Zukunftsforscher ist dabei die spannende Frage: Machen es die Etablierten, die eigentlich die besseren Startvoraussetzungen haben? Wenn die es nicht machen, dann machen es eben andere.
Faszination und Unbehagen liegen beim Thema KI oft nah beieinander. Es wird vieles möglich sein, was das Leben besser macht. Und gleichzeitig ist da auch eine Skepsis.
Aus der Geschichte können wir lernen, dass es bei fast allen großen und weltverändernden Innovationen und Technologien Vorbehalte gegeben hat. Eisenbahn, Fernseher, Smartphones. Bei den allermeisten Menschen löst eine neue Technologie Unbehagen aus. Andere gehen auf Neues ganz euphorisch zu. Das führt dazu, dass diejenigen, die unerschrocken auf die neue Technologie zugehen, einen Nutzen dadurch haben. Und die Zögerlichen schauen auf diejenigen, die Technik einsetzten und sehen den Nutzen. Irgendwann übersteigt der Nutzen das Risikoempfinden. Diese Abwägung macht jeder Mensch innerlich. Dieser Prozess ist quasi eine natürliche Folge der Entwicklung von nützlicher Technologie.
Die DACH-Länder sind nicht unbedingt als
das Musterbeispiel an Digitalisierung bekannt. Wo sehen sie Deutschland, Österreich und Schweiz im internationalen Vergleich? Sind wir abgehängt oder steht es gar nicht so schlecht um unsere Innovationsfähigkeit?
Wenn wir über KI sprechen klafft schon heute eine riesige Lücke – und die wird in den nächsten Jahren noch größer – zwischen den beiden Vorreitern China und Silicon Valley und dem Rest der Welt. Im Rest der Welt stehen wir gar nicht so schlecht da. Da ist vielleicht Israel noch vor uns, aber innerhalb Europas müssen wir uns nicht verstecken. Aber gegenüber China und Silicon Valley sind wir weit abgeschlagen und das werden wir auch in Sachen KI nicht mehr aufholen. Vielleicht können wir mit neuen Entwicklungen zum Beispiel Genetik oder Kernfusion wieder aufholen. Der Zug KI ist abgefahren.
Wenn man Ihnen so zuhört, können wir uns
sehr auf den verstärkten Einsatz von KI freuen, weil wir gesünder leben werden, richtig?
Richtig. Wir werden gesünder leben. Wir werden länger leben. Wir werden länger gesund werden. Für meine Kinder, die sind zwischen zehn und sechs Jahre alt, prognostizieren wir gerade eine Lebenserwartung von 120 Jahren. Das ist das Ergebnis der Technologien, die in den nächsten Jahren in die Medizin kommen werden. Eine ganz entscheidende davon ist die Künstliche Intelligenz.
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